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Fußball – Ein Kick mit Erdogan – HAZ – Hannoversche Allgemeine

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Zwei deutsche Fußballer mit türkischen Wurzeln sind in ein politisches Minenfeld gestolpert. Mesut Özil und Ilkay Gündogan posierten mit dem türkischen Präsidenten – und lösten eine ungeahnte Debatte aus. Der schärfste Tadel kommt von den Grünen.
Fast väterlich blickt Recep Tayyip Erdogan (64) auf die beiden Sportler an seiner Seite. Lächelnd stehen sie neben ihm, blicken artig in die Kameras wie wohlgeratene Söhne: Mesut Özil (29) und Ilkay Gündogan (27).
Gündogan trägt sogar einen buschigen Schnauzbart. Das sieht ein wenig aus der Zeit gefallen aus, wirkt aber gleichzeitig wie eine Referenz an das vermeintliche Familienoberhaupt, das man ebenfalls nur mit Oberlippenbehaarung kennt. Ein Foto wie gemacht fürs Familienalbum.
Die für sich genommen völlig harmlose Szene, aufgenommen am Wochenende im Londoner Four-Seasons-Hotel, hat eine Debatte angeschoben, die noch lange nicht zu Ende ist. Denn der ältere Herr ist der Präsident der Türkei, und die beiden jungen Leute sind Spieler der deutschen Fußballnationalmannschaft.
Für wen, ätzten Kritiker in den sozialen Netzwerken, treten Özil und Gündogan eigentlich an? Für Deutschland oder die Türkei?
Nicht nur in Deutschland diskutieren darüber jetzt die Stammtische ebenso wie die Salons. Rund um den Globus, sogar in der arabischen Welt und in Lateinamerika, werfen Medien die gleiche Frage auf. Osteuropäische Zeitungen deuten händereibend auf misslungene Integration, die britische BBC spricht über „Wut in Deutschland“.
Beatrix von Storch, AfD-Fraktionsvize im Bundestag, rät Gündogan, er solle doch bitte „für seinen Präsidenten kicken gehen“. Und hasserfüllte deutsche Internetaktivisten starten auf privaten Plattformen „Petitionen“, die darauf zielen, Özil und Gündogan aus der Mannschaft auszuschließen.
Der türkische Fußballverband konterte, niemand in der Türkei verstehe die Kritik an dem gemeinsamen Foto von Özil, Gündogan und Erdogan. Es sei „ganz normal“, dass die Spieler der Einladung Erdogans zu einem Treffen in dem Londoner Hotel Folge geleistet hätten.
Deutschlands oberste Fußballmanager taten am Dienstag alles, um die Wogen zu glätten. „Ich weiß, dass bei Spielern mit Migrationshintergrund auch mal zwei Herzen in einer Brust schlagen“, sagt Nationaltrainer Jogi Löw, als er vor Journalisten in Dortmund den vorläufigen Kader für die Weltmeisterschaft in Russland vorstellt.
Ob er darüber nachgedacht habe, Özil und Gündogan nicht mitzunehmen zum Turnier nach Russland, wird Löw gefragt. Antwort: „Selbstverständlich nicht.“
Dennoch bleibt die Stimmung seltsam angespannt bei dieser Pressekonferenz. Und viele Fragen bleiben offen. Ist die Annäherung der Kicker an den Autokraten egal? Und wenn nein, wer redet dann mit den Jungs?
DFB-Chef Reinhard Grindel beschreibt seine Position mit einer Mischung aus Strenge und Milde. „Ich glaube, dass beide wissen, dass sie einen Fehler gemacht haben.“ Zugleich aber gelte: Menschen können Fehler machen. „Wir müssen das Maß wahren“, sagt Grindel. Manches, was er in den digitalen Medien lese, erscheine ihm übertrieben.
Unmissverständlich stellt sich später noch einmal Löw vor die beiden: „Wir haben den Spielern zu verstehen gegeben, dass es keine glückliche Aktion war.“ Beide hätten aber auch zu verstehen gegeben, dass es ihnen nicht um eine politische Botschaft gegangen sei. „Ich persönlich kann sagen, dass beide einen sehr guten Charakter haben“, sagt Löw über Özil und Gündogan. „Beide haben auch für die Integration in Deutschland sehr viel getan.“
Fußballer als Integrationshelfer? Vielleicht liegt gerade hier die Erklärung für die tiefe Enttäuschung, die viele Deutsche – insbesondere viele deutsche Politiker – jetzt angesichts des Tête-à-Têtes mit Erdogan empfinden.
„Wenn man weiß, wie viele Kritiker von Herrn Erdogan in türkischen,Strafräumen’ eingesperrt sind, zeugt es nicht von Haltung, sich so für Wahlkampfzwecke herzugeben“, sagt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz. „Es ist gut, dass sich die Spieler mittlerweile erklärt haben und der DFB bereits angekündigt hat, dies zum Gegenstand von Gesprächen zu machen.

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