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"Grenzen des Rechtsstaates ausgetestet"

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Nordrhein-Westfalens ranghöchste Richterin erhebt schwere Vorwürfe im Fall Sami A.: Der Justiz seien bewusst Informationen vorenthalten worden. Die Behörden hätten mit “halber Wahrheit” agiert.
Nordrhein-Westfalens ranghöchste Richterin erhebt schwere Vorwürfe im Fall Sami A.: Der Justiz seien bewusst Informationen vorenthalten worden. Die Behörden hätten mit “halber Wahrheit” agiert.
Nach dem Urteil des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) im Fall des nach Tunesien abgeschobenen Islamisten Sami A. geraten die zuständigen Behörden zunehmend in die Kritik. Die Präsidentin des Gerichts, Ricarda Brandts, sieht durch den Fall das Vertrauensverhältnis zwischen Behörden und Justiz nachhaltig geschädigt – und erhebt schwere Vorwürfe.
“Hier wurden offensichtlich die Grenzen des Rechtsstaates ausgetestet”, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. “Dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen wurden Informationen bewusst vorenthalten.” So hätten die Behörden verhindern wollen, dass die Justiz rechtzeitig ein Abschiebeverbot verhängen konnte. “Der Fall des Sami A. wirft Fragen zu Demokratie und Rechtsstaat – insbesondere zu Gewaltenteilung und effektivem Rechtsschutz – auf.”
Menschliche Fehler könne es immer geben. “Eine gezielte Offenbarung nur der ‘halben Wahrheit’ – so hat der zuständige Senat das Verhalten der Behörden im Fall Sami A. eingestuft – ist aber nicht hinzunehmen”, so Brandts.
Das habe auch Folgen für das Vertrauensverhältnis der Gerichte im Umgang mit den handelnden Behörden. Bislang seien beide “grundsätzlich mit Respekt vor der Gewaltenteilung” vertrauensvoll miteinander umgegangen, sagte die Gerichtspräsidentin. So hätten die Behörden etwa Stillhaltezusage abgegeben – also Garantien, eine Abschiebung bis zu einer Entscheidung der Richter nicht umzusetzen. “Nach der Erfahrung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen würde ich den Kollegen nun raten, sich auf diese Praxis vorerst nicht mehr in jedem Fall zu verlassen.”
Dass es überhaupt zu der Situation kommen konnte, erklärt sie sich mit dem “erheblichen öffentlichen Druck”, der sich im Zuge des Verfahrens um Sami. A. aufgebaut habe. Dass der mutmaßliche Gefährder endlich abgeschoben werden solle, sei “nicht nur in den Medien, sondern auch von hochrangigen Politikern” gefordert worden.

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