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Tagesanbruch: Aufstieg der Grünen – "Die unpopulistischste aller Parteien"

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Wir erleben einen Umbruch des deutschen Parteiensystems – und seine größten Gewinner sind die Grünen: Sie treffen das Lebensgefühl von immer mehr Bürgern. Ihr Erfolg bei der Hessen-Wahl könnte Merkels Kanzlerschaft beenden.
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:
Neun Tage sind es noch bis zur Landtagswahl, aber schon jetzt bahnt sich in Hessen ein politischer Umbruch an: In der jüngsten Umfrage stürmen die Grünen auf 22 Prozent. Zweiundzwanzig! Das ist fast schon ein Volkspartei-Wert, zumal die ehemalige Volkspartei SPD und die Immer-noch-Volkspartei CDU auch dort massiv an Zustimmung verlieren. Wie schon in Bayern dürfte dafür auch in Hessen, neben regionalen Gründen, das verkorkste Agieren der großen Koalition in Berlin mit schuld sein. Wenn, ja wenn es am übernächsten Sonntag wirklich so kommt. Und dann? Dann kämen in Wiesbaden nur eine Jamaika-Koalition (CDU, Grüne, FDP), eine Ampel (SPD, FDP, Grüne) oder ein grün-rot-rotes Mal-was-Neues-wagen-Bündnis auf eine Mehrheit – vielleicht sogar mit dem zweiten grünen Ministerpräsidenten Deutschlands.
Wenn Sie jetzt denken: Das wäre ein politisches Beben!, dann widerspreche ich Ihnen nicht. Rücktritte von Parteichefs, Platzen der Bundesregierung, Merkels Sturz: Das wäre dann alles denkbar. Es wäre aber noch mehr. Oder nein, es ist schon viel mehr. Wir erleben eine tektonische Verschiebung des deutschen Parteiensystems: Der Zwei-Lager-Dualismus der Nachkriegszeit wandelt sich zum Spektrum-Pluralismus, und das ist ein Abbild der gewandelten deutschen Gesellschaft. Traditionelle Bindungen verlieren ihren Wert, kurzfristige Entscheidungen bestimmen immer stärker nicht nur die Politik, sondern auch den Beruf und das Privatleben. Wir entscheiden uns heute für diese Automarke und beim nächsten Kauf für jene, wählen heute diese Partei und morgen jene.
Das vielleicht interessanteste Phänomen ist dabei nicht der Aufstieg der AfD, sondern jener der Grünen. Unter der Führung ihrer neuen Vorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock sowie ihres Strategen, Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, gelingt es der ehemaligen Öko-Klientelpartei, für breite Bevölkerungsschichten zur wahren Alternative zur ausgelaugten CDUCSUSPD-Regierungspartei heranzureifen. Die Grünen scheinen inzwischen präzise das Lebensgefühl vieler Menschen zu treffen: ökologisches Bewusstsein gepaart mit Heimatliebe und moderatem Sicherheitsdenken. Also: Umstieg auf E-Autos und Ausstieg aus der Kohle. Schluss mit Massentierhaltung und neuen Autobahnschneisen in unberührter Natur. Keine Rüstungsexporte in Krisenregionen, aber mehr gut ausgerüstete Polizisten. Eine klar begrenzte Zuwanderung, aber keine Obergrenze beim Asylrecht. Aufgeklärte Vernunft statt dumpfer Parolen.
“Das Konzept der Volkspartei ist nicht mehr die Antwort auf das 21. Jahrhundert”, sagt Baerbock im “Focus”. “Die großen Parteien können sich nur noch auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen.” Das führe dazu, dass Union und SPD nichts mehr entscheiden oder vorantreiben.

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