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Die Lage am Morgen

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Russlands Agenten sind unter uns, aber wir sehen sie nicht. Der Kanzler ist unter Genossen, aber nicht unter Freunden. Und alle wollen das 9-Euro-Ticket, aber keiner will es zahlen. Das ist die Lage am Freitagmorgen.
Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um die investigativen Enthüllungen des SPIEGEL zu russischen Geheimagenten, um die Versuche einer Landrätin, den ÖPNV zu beleben, und um das Schicksal des deutschen Waldes.
In Filmen oder Serien ist es wahnsinnig unterhaltsam, in der Realität beängstigend: Wladimir Putins Spionage-Imperium, das mit zehntausenden Mitarbeitern einen Schattenkrieg gegen den Westen führt. Die Spione beeinflussen Parteien, manipulieren Wahlen, steuern Telegram-Kanäle und schüren mit Falschinformationen Proteste im Westen. Sie infiltrieren die Computernetze westlicher Regierungen und hacken sich in hochsensible Anlagen.
Und manche leben unter falscher Identität über Jahre unauffällig im Westen, kaum erkennbar für die Gesellschaften, in die sie eingeschleust wurden. So wie die Figuren in der Serie »The Americans«. Eine solche Top-Agentin hat ein SPIEGEL-Team in Kooperation mit den Investigativplattformen Bellingcat und The Insider jetzt enttarnt: Adela K. operierte zuletzt in Italien, und spionierte dort womöglich Mitarbeiter der Nato und der US-Navy aus. Wie viele Leute, die diese Enthüllung in unserem italienischen Partnermedium »La Repubblica« lesen, werden jetzt aus allen Wolken fallen, verletzt und verunsichert sein, weil sie Adela K. für eine harmlose Freundin und Kollegin hielten?
Die Recherchen, auf denen die neue SPIEGEL-Titelgeschichte basiert, geben auch erstmals einen Überblick, wie Putins Spione im Westen und vor allem in Deutschland operieren. Der russische Auslandsgeheimdienst SWR soll danach etwa 3000 Agenten kommandieren, der Militärgeheimdienst GRU weitere 1000, viele davon als Diplomaten getarnt. Und bis zu 70 »Illegale«, also unter aufwendiger Tarnidentität operierende Spione unterhalten die russischen Dienste. Die Zahl klingt klein, aber hier handelt es sich um extrem aufwendige Missionen, und um Angreifer, die besonders schwer zu erkennen sind. Dazu kommt »Einheit 29 155«, Putins Kill-Team, eine streng geheime Eliteeinheit, die politische Morde begeht.
Wer jetzt denkt, was haben Spione schon mit mir zu tun, täuscht sich. Die deutsche Infrastruktur kann für diese Angreifer schnell zum Ziel oder Kollateralschaden werden. Wie etwa am 24. Februar dieses Jahres, dem Beginn von Russlands Angriff auf die Ukraine: Die russischen Dienste wollten das ukrainische Militär und dessen mobile Netze ausschalten, und prompt fiel auch die Verbindung von 5800 deutschen Windkraftanlagen zu ihrer Zentrale aus, weil die Betreiberfirmen Kunden desselben US-Anbieters waren.

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