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Kevin Kühnerts Sozialismus-Thesen und die Folgen

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Der Juso-Chef stellt eine große Frage: Braucht es mehr Sozialismus? Damit hat Kevin Kühnert plötzlich einen Nerv getroffen. Eine Analyse.
Selten hat ein Juso-Chef mit einigen wenigen Sätzen die Republik so in Wallung gebracht. Der 29-jährige Kevin Kühnert hat mit seinen Thesen zum demokratischen Sozialismus die Union und auch Teile der SPD mitten im Europawahlkampf in Aufregung versetzt. CDU- und CSU-Politiker, Liberale und AfD-Politiker brandmarken ihn nun als Verherrlicher des Staatssozialismus à la DDR. Aber auch Sozialdemokraten zeigen sich entsetzt – einige fordern sogar den Parteiausschluss des Gegners der großen Koalition. Er scheint einen wunden Punkt getroffen zu haben – es gibt vielerorts ein Unbehagen über die Auswüchse des Kapitalismus, hohe Mieten und die Angst vor dem sozialen Abstieg.
Welche Thesen des Juso-Chefs sind besonders umstritten? Kevin Kühnert hat sich für die Kollektivierung großer Firmen und die Beschränkung von Immobilienbesitz in Deutschland ausgesprochen. Er wolle eine Kollektivierung von Unternehmen wie BMW „auf demokratischem Weg“ erreichen, weil nur so eine „Überwindung des Kapitalismus“ möglich sei, sagte er der „Zeit“. Entscheidend sei, dass die Verteilung der Profite „demokratisch kontrolliert“ werde: „Das schließt aus, dass es einen kapitalistischen Eigentümer dieses Betriebes gibt.“ Zudem dürfe jeder Bürger nur noch „maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt“. Im Idealfall gebe es gar keine privaten Vermietungen mehr. Grundsätzlich bekannte sich der Juso-Chef zum Ziel eines „demokratischen Sozialismus“.
Was löste Kühnert damit aus?
Die Reaktionen fielen recht heftig aus – vor allem die aus der Union, aber auch manche aus der SPD. „Die Forderung, Betriebe wie BMW zu kollektivieren, zeigt das rückwärtsgewandte und verschrobene Retro-Weltbild eines verirrten Fantasten“, sagte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) der „Bild“-Zeitung. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil distanzierte sich von den Aussagen, mahnte aber zugleich „mehr Gelassenheit in der Diskussion“ an. Kühnert spreche über Utopien, die nicht seine seien, und auch „keine Forderungen der SPD“. Er habe sich als Chef der Jusos geäußert. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt warnte auf „Spiegel online“, eine Kollektivierung der Autoindustrie löse „keines der Probleme“.
Die Vorsitzende des Bundes junger Unternehmer, Sarna Röser, erklärte, Kühnerts Vorschläge zeigten klar, „dass er von einer DDR 2.0 träumt“. Michael Frenzel, Präsident des SPD-Wirtschaftsforums und langjähriger Chef des TUI-Konzerns, fordert den Parteiausschluss des Juso-Chefs. Dessen Äußerungen seien „eine Steilvorlage, die SPD in die Nähe der alten SED zu rücken und uns von der Mitte weiter zu entfremden“, sagte Frenzel dem „Handelsblatt“. Das Wirtschaftsforum sieht seine Aufgabe darin, die Stellung der Partei bei Unternehmen zu stärken. Kühnerts Aussagen dürften in dieser Hinsicht Gift sein, so lässt sich die scharfe Reaktion erklären.
Wo steht Kühnert mit seinen Vorschlägen in seiner Partei?
Seine Thesen sind nicht vom Programm der SPD gedeckt, wohl aber von dem der Jusos. In der Debatte um das Berliner Volksbegehren zur Enteignung von Konzernen wie des Immobilienunternehmens „Deutsche Wohnen“ hatte die SPD deutlich gemacht, dass sie Vergesellschaftungen für kein geeignetes Mittel hält, um die Lage auf dem Wohnungsmarkt zu entspannen. 2003 hatten der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und SPD-Generalsekretär Olaf Scholz versucht, den Begriff „demokratischer Sozialismus“ aus dem Programm der Partei zu streichen. Sie scheiterten aber an den Beharrungskräften in der SPD.
Im Hamburger Programm der SPD vom Oktober 2007 heißt es nun: „Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist.“ Konkrete Instrumente zur Herbeiführung dieses Idealzustands nennt das Programm anders als Kühnert nicht. In der SPD freuen sich manche fast ein wenig über den Aufruhr. „Wir werden wieder erst genommen“, lautet ein Kommentar. Allerdings weiß keiner, ob das einen Effekt im Europawahlkampf haben kann. Da droht der SPD am 26. Mai eine heftige Klatsche
Muss Kühnert wie Thilo Sarrazin ein Ausschlussverfahren fürchten?
Nein. Die SPD-Führung betont, dass er als Chef der Jugendorganisation das Recht habe, eigene, nicht parteikonforme linke Thesen zu vertreten.

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