Die Evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie fordert in der Coronakrise mehr Unterstützung für Eltern. Denkbar sei etwa eine Corona-Familienzeit. Ein Gespräch.
Frau Schöningh, als Bundesgeschäftsführerin ihres Verbands vertreten Sie die familienbezogenen Institutionen der Evangelischen Kirche und setzen sich für die Rechte von Familien ein. Momentan sind Eltern einer enormen Belastung ausgesetzt. Wie beurteilen Sie den von der Regierung beschlossenen Familienbonus von 300 Euro pro Kind? Für Eltern mit wenig Einkommen ist der Familienbonus sicher hilfreich. Doch so eine Einmalzahlung gleicht keine Einkommenseinbußen aus, die entstehen, wenn es keine verlässliche Kinderbetreuung gibt. Von 300 Euro kann man sich vielleicht für 25 Stunden einen Babysitter nehmen.
Auch Familien mit zwei Kindern ist mit 600 Euro nicht wirklich geholfen. Der Familienbonus hat aber vermutlich, wie beabsichtigt, eine positive Wirkung auf die Konjunktur, da viele Eltern das Geld wahrscheinlich schnell ausgeben werden. Mir erscheint es allerdings wenig sinnvoll, das als Gießkannenverteilung an alle Eltern auszuschütten.
So eine Bonuszahlung sollte zielgenauer eingesetzt, zum Beispiel an eine Einkommensgrenze geknüpft werden. Gut an der getroffenen Regelung ist, dass die Bonuszahlung nicht mit Transferzahlungen (Hartz IV) verrechnet wird, sondern diesen Familien wirklich zusätzlich zugutekommt.
Selbst wenn Schulen und Kitas jetzt wieder öffnen, wird es dieses Jahr vielleicht gar keine normale Betreuungssituation mehr geben, da viele Lehrer und Erzieher wegen Vorerkrankungen ausfallen und bei einer weiteren Infektionswelle alles womöglich wieder dicht ist. Wie könnte man statt eines einmaligen Bonus die Familien sinnvoll unterstützen? Wir würden es für sinnvoll halten, wenn es so etwas wie eine Corona-Familienarbeitszeit gäbe. Damit hätten Eltern mit Kindern bis zu zwölf Jahren einen Anspruch auf die Reduzierung ihrer Arbeitszeit. Der entfallende Arbeitslohn könnte durch einen Corona-Zuschuss des Bundes ersetzt werden, der allerdings gedeckelt sein sollte.
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So könnte man Eltern ein bisschen mehr Zeit für ihre Kinder verschaffen und sie trotzdem im Erwerbsleben halten. Das würde nicht nur den Druck von den Eltern nehmen und ihnen finanzielle Sicherheit verschaffen, sondern auch Betrieben helfen, die momentan ihre Mitarbeiter nicht so gut bezahlen können oder weniger Arbeit haben. Ein Kündigungsschutz müsste dazugehören.
Wichtig an unserem Modell ist, dass beide Eltern ihre Arbeitszeit reduzieren sollten – möglichst in einem ähnlichen Verhältnis. Kein Elternteil sollte auf null reduzieren, da es ja im Kern darum geht, dass beide Eltern, also explizit auch die Mütter, später wieder im größeren Umfang in ihren Job zurückkehren sollten.
Droht sonst vielleicht – wenn also nur Frauen diese Leistung in Anspruch nehmen würden – erst recht ein Rollback, vor dem die Soziologin Jutta Almendinger so dringlich warnt? Das ist auch unsere Sorge. Würde man eine Zahlung anbieten, die nur von einem Elternteil beantragt werden kann, würden dies mit ziemlicher Sicherheit hauptsächlich die Frauen tun. Sie arbeiten in der Regel in Teilzeit und verdienen weniger Geld. Die Familie würde sich automatisch dazu entscheiden, wenn sie hauptsächlich auf das Einkommen des Mannes angewiesen ist.
Tatsächlich kündigen ja bereits jetzt die ersten Frauen, da sie die Belastung nicht länger ertragen.