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„Nichts ist kostbarer als die Freiheit“ (Ho Chi Minh)

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Vietnam: Antikolonialer Widerstand mit Tradition (Teil VI von VII). Im sechsten Teil der siebenteiligen Serie zur Vorgeschichte, zum Verlauf und zu den Vermächtnissen des Zweiten Weltkriegs in Ost- und Südostasien beschäftigt sich unser Autor Rainer Werning mit der Herrschaft Japans über Vietnam, das seit 1887 Teil von Französisch-Indochina war. Von Rainer Werning.

Für die Kaiserlich-Japani …
Vietnam: Antikolonialer Widerstand mit Tradition (Teil VI von VII). Im sechsten Teil der siebenteiligen Serie zur Vorgeschichte, zum Verlauf und zu den Vermächtnissen des Zweiten Weltkriegs in Ost- und Südostasien beschäftigt sich unser Autor Rainer Werning mit der Herrschaft Japans über Vietnam, das seit 1887 Teil von Französisch-Indochina war. Von Rainer Werning. Für die Kaiserlich-Japanischen Truppen war diese Kernregion im kontinentalen Südostasien wegen seiner Rohstoffe und militärstrategischen Lage von herausragender Bedeutung, bildete sie doch das Scharnier zwischen China und dem Südzipfel der malaiischen Landzunge inklusive Singapur sowie der britischen Kolonie Birma. Nach dessen Eroberung erhoffte man sich in Tokio einen ungehinderten Zugang zum gesamten indischen Subkontinent. In Indien, so das Kalkül der Achsenmächte Japan und Deutschland, sollten sich die siegreichen Truppen beider Mächte treffen und die Neuaufteilung der asiatisch-pazifischen Welt gemäß koordiniertem imperialen Design vornehmen. Vorbemerkung „75 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs in Ost- und Südostasien – Vorgeschichte, Verlauf, Vermächtnisse“ lautet der Titel dieser siebenteiligen Artikelserie von Rainer Werning, die NachDenkSeiten innerhalb dieses Jahres in regelmäßigen Abständen veröffentlicht. Lesen Sie bitte auch die ersten fünf Teile dieser Serie (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4 und Teil 5. „Im Herbst 1940, als die japanischen Faschisten in Indochina eindrangen, um es als Stützpunkt im Krieg gegen die Alliierten zu benutzen, verrieten die französischen Kolonialherren unser Land, gaben es in die Hände der Eroberer und kapitulierten vor Japan. Seitdem hat unser Volk unter dem doppelten japanisch-französischen Druck zu leiden. Das verschlechterte die ohnehin jammervolle Lage des Volkes. Ende 1944 und Anfang 1945 starben in weiten Gebieten, von Quang Tri im Süden bis zum Norden des Landes, über zwei Millionen unserer Landsleute an Hunger. Am 9. März 1945 entwaffneten die Japaner die französischen Truppen. Und wieder sind die französischen Kolonialherren geflohen oder sie haben vor den Japanern kapituliert. So vermochten sie nicht nur nicht, uns zu „schützen“, sondern sie verkauften im Gegenteil unser Land im Laufe von fünf Jahren zweimal an die Japaner. (…) De facto hat unser Land im Herbst 1940 aufgehört, französische Kolonie zu sein; es wurde zu einer japanischen. Nach der Kapitulation Japans erhob sich die gesamte Bevölkerung unseres Landes, nahm die Macht in die eigenen Hände und gründete die Demokratische Republik Vietnam. So haben wir eigentlich unsere Freiheit und Unabhängigkeit den Japanern und nicht den Franzosen entrissen.“ Aus der Unabhängigkeitserklärung, die der Revolutionsführer Ho Chi Minh am 2. September 1945 in Hanoi anlässlich der Gründung der Demokratischen Republik Vietnam (DRV) verkündete „Der vietnamesische Historiker Le Than Khoi schildert in seinem 1955 in Paris erschienenen Buch ‚Le Vietnam. Histoire et Civilisation‘, in welch unbeschreiblichem Elend die große Mehrheit der Vietnamesen in dieser Zeit [zu Beginn der 1940er Jahre – Anm.: RW] lebte. Für die vietnamesischen Arbeiter gab es keinen freien Sonntag, keinen bezahlten Urlaub, keine gesundheitliche Betreuung, keine Sozialversicherung, keine Arbeitslosenunterstützung. Für die geringsten ‚Vergehen‘ gab es Prügelstrafen, Geldbußen und Gefängnis. Auf den südvietnamesischen Plantagen starben jährlich Hunderte von Menschen an den Folgen der barbarischen Behandlung. Die Kohlenminen von Hong Gai in Nordvietnam und die Kautschukplantagen im Süden unterhielten ihre eigene Polizei, einen eigenen Spitzelapparat zur Überwachung der Arbeiter und eigene Gefängnisse. Ihr Elend beschreibt der US-amerikanische Journalist H. A. Frank in seinem 1926 in London veröffentlichten Buch ‚East of Siam‘ so: ‚Es sind arme Sklaven, in armselige Lumpen gehüllt, und schwach ist die Hand, welche die Hacke schwingt. Die Sonne brennt erbarmungslos, die Arbeit ist kräftezehrend, doch sie bringt nur wenig ein. Es gab dort auch Frauen, und vor allem, hinter den Kohlekarren, kleine Kerlchen von kaum zehn Jahren; ihre von Erschöpfung gezeichneten, mit Kohlenstaub bedeckten Gesichter aber glichen denen von Vierzigjährigen. Ihre nackten Füße waren von einer harten Kruste bedeckt. Ohne Pause trotteten sie durch den Staub.‘ Und der französische Geograf Pierre Gourou schreibt in seinem Buch ‚L’ Asie‘ (Paris 1954): ‚Hunger und Elend zwingen die tonkinesischen und annamitischen Bauern, auf Insekten Jagd zu machen, die sie dann gierig verzehren. In Tonkin fängt man Heuschrecken, Grillen, Eintagsfliegen, sammelt einige Raupen und Bambuswürmer und schreckt auch nicht davor zurück, die Puppen der Seidenraupe zu essen. Jedermann weiß, dass dort ständig Hungersnot herrscht.‘ (…) Diese kurzen Einblendungen verdeutlichen, warum die große Mehrheit der Vietnamesen dem Aufruf der am 19. Mai 1941 von Ho Chi Minh gegründeten Vietnam Doc Lap Dong Minh, der Liga für die Unabhängigkeit Vietnams, zum nationalen Befreiungskampf folgte. Die kurz Viet Minh genannte Befreiungsfront bestand nicht nur aus Kommunisten, wie oft fälschlicher Weise angeführt, sondern ihr gehörten breite Bevölkerungsschichten an: Arbeiter und Bauern, verschiedene Schichten des Kleinbürgertums, Vertreter der Intelligenz, der nationalen Bourgeoisie, Angehörige der nationalen Minderheiten, buddhistische Mönche, vietnamesische Soldaten der französischen Kolonialarmee und selbst Mandarine, Angehörige der hohen vietnamesischen Feudalschicht. Am 22. Dezember 1944 bildete die Viet Minh offiziell eine erste Partisanen-Einheit, aus der eine rasch anwachsende Volksarmee hervorging. Ihr Befehlshaber wurde der 31jährige Lehrer Vo Nguyen Giap, der spätere Verteidigungsminister der Demokratischen Republik Vietnam (DRV). Er kommandierte auch die vietnamesischen Truppen, von denen die Franzosen im Mai 1954 in der Schlacht bei Dien Bien Phu geschlagen wurden. Am 9. August rief die Viet Minh zum bewaffneten Aufstand gegen die japanischen Truppen auf, die im Frühjahr 1940 Vietnam besetzt hatten, und gegen die französischen Kolonialisten, die unter der japanischen Besatzung die Verwaltung weiter ausübten. Am 19. August nahmen die Vietnamesen Hanoi ein, am 23. August die alte Kaiserstadt Hue. Das Ereignis wird von den Vietnamesen als Augustrevolution bezeichnet. Die Führung der Viet Minh konstituierte sich am 25. August zur provisorischen Regierung. Am 2. September 1945 erklärte Ho Chi Minh Vietnam für unabhängig. Die Grundsätze der Proklamation könnten der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 entstammen: ‚Alle Menschen sind gleich erschaffen. Von ihrem Schöpfer wurden sie mit bestimmten unveräußerlichen Rechten ausgestattet, darunter dem Recht auf Leben, auf Freiheit und auf das Streben nach Glück.‘ Die Unabhängigkeitserklärung endete mit den Worten: ‚Das vietnamesische Volk ist entschlossen, all seine geistigen und materiellen Kräfte aufzubieten, Leben und Besitz zu opfern, um sein Recht auf Freiheit und Unabhängigkeit zu behaupten.‘ (…) Am 6. Januar 1946 wird in Vietnam zum ersten Mal eine Nationalversammlung gewählt. Zugelassen sind auch Parteien und Organisationen, die der Viet Minh nicht angehören. Die Viet Minh belegt 230 der 300 Sitze. Am 2. März wird Ho Chi Minh zum Präsidenten der DRV gewählt.“ Aus: Geschichte des Vietnamkrieges – Agent Orange Website Japan – Hegemonialmacht in Ost- und Südostasien Japan entwickelte sich um die vorletzte Jahrhundertwende zur hegemonialen Macht in dieser Weltregion. „Der Kaiser ist heilig und unverletzlich“, hieß es in der japanischen Verfassung von 1890, und er sei legitimiert, als direkter Nachfahre der Sonnengöttin Amaterasu mit unbeschränkter Machtfülle zu regieren. Als Souverän des Landes führte der Kaiser (Tenno) Exekutive und Legislative, aber auch Heer und Marine. Nach zwei siegreichen Kriegen gegen China und Russland in den Jahren 1894/95 beziehungsweise 1904/05 war Japan zur unangefochtenen Regionalmacht aufgestiegen. Im September 1931 besetzte die in der Mandschurei stationierte japanische Kwantung-Armee mehrere Großstädte in der Region, die als Puffer gegenüber der Sowjetunion strategische Bedeutung hatten. Im Juli 1937 ließ schließlich ein inszenierter Angriff auf eine japanische Militäreinheit bei Peking den Krieg gegen China an allen Fronten eskalieren. Unter diesen Bedingungen erlebte Japan zwischen 1930 und 1940 ein phänomenales Wachstum seiner Wirtschaft. Die Industrieproduktion stieg um das Fünffache, die Stahlproduktion von 1,8 auf 6,8 Millionen Tonnen pro Jahr, allein 1939 verließen 5000 neue Kampfflugzeuge die Montagehallen. Bei Handelsschiffen lag die Tonnage 1937 bei 405.195 Tonnen und hatte sich damit im Vergleich zu 1931 mehr als vervierfacht. Die Militärausgaben wuchsen gleichfalls überproportional. Gemessen am Gesamthaushalt Japans erreichten sie 1938 – ein Jahr nach der Invasion gegen China – einen Anteil von 75,4 Prozent. Schließlich verdoppelte sich von 1936 bis 1941 die Zahl der Wehrpflichtigen, so dass am 1. Januar 1942 sechs Millionen Soldaten unter Waffen standen. Japans Kriegsökonomie erforderte die Sicherung strategisch wichtiger Rohstoffe, die zunächst aus China und seiner Kolonie Korea bezogen wurden. Für einen geregelten Ölnachschub war man auf die Felder in Niederländisch-Indien (heute Indonesien) und auf Sumatra und Borneo angewiesen, da die USA und Großbritannien 1941 einen Ölboykott gegen Tokio verhängt hatten. Gleichzeitig hatte Frankreichs Kolonialadministration Indochina widerstandslos den Japanern überlassen. Zwar blieben französische Kolonialbeamte in Vietnam, Laos und Kambodscha, doch tonangebend war fortan das japanische Militär. Damit kontrollierte das auf Expansion bedachte Kaiserreich nicht nur eine wichtige Rohstoffregion (Kautschuk, Kohle, Mangan, Bauxit, Nickel) – Indochina und Thailand wurden quasi Verbündete, um den weiteren militärischen Vormarsch der kaiserlichen Truppen in Südostasien zu flankieren. Begründet wurden diese Feldzüge mit der „größeren ostasiatischen gemeinsamen Wohlstandssphäre“, die der Tenno als „Licht, Beschützer und Führer Asiens“ im „Kampf gegen den weißen Kolonialismus und Imperialismus“ entfesselt hatte. Indochina – Frankreichs Außenposten in Südostasien Als im September 1939 der Zweite Weltkrieg in Europa begann, verfügte die französische Regierung im Herzen Kontinentalsüdostasiens über eine seit dem Jahre 1887 bestehende Kolonie, die mit knapp 741.000 Quadratkilometern und einer Bevölkerung von annähernd 24 Millionen Einwohnern zirka 100.000 Quadratkilometer größer war als das „Mutterland“. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten französische Truppen gegen den bewaffneten Widerstand einheimischer Befreiungskämpfer Laos und Kambodscha erobert sowie Tonkin (Nordvietnam), Annam (Zentralvietnam) und Cochinchina (Südvietnam) unter ihre Kontrolle gebracht. Die Franzosen fassten das Gebiet unter dem Namen Indochina zusammen, stellten Cochinchina unter Kolonialverwaltung (mit Sitz in Saigon) und erklärten den Rest zum Protektorat, das sie mit Hilfe einheimischer Statthalter im nordvietnamesischen Hanoi sowie traditioneller Feudalherren und Mandarinen in Laos, Kambodscha und in Zentralvietnam kontrollierten. „In Indochina mag es Monarchen geben, die regieren,“ erklärte Bao Dai, der Kaiser Annams, „aber französische Admiräle haben das Sagen.“ (Jennings 2001: 7) Die 25.000 bis 30.000 französischen Siedler, Kolonialbeamten und Militärs stellten in Indochina nicht einmal 0,2 Prozent der zirka 24 Millionen zählenden Einwohner. In den französischen Wohnvierteln von Saigon und Hanoi sowie in ihren Herrenhäusern auf ihren Reis-, Baumwoll- und Kautschukplantagen führten sie ein luxuriöses Leben und waren beseelt von dem Gedanken, sich als wahre Hüter der „Mission Civilisatrice“ aufzuführen. In schroffem Gegensatz dazu lebte die einheimische Bevölkerung größtenteils unter miserablen Bedingungen in Armut und Abhängigkeit. Durch die Einführung privater Besitzverhältnisse und die Umstellung der landwirtschaftlichen Produktion auf den Export hatten die Franzosen die weitgehend kommunale Selbstversorgung auf dem Land unterminiert und Bauern, die zuvor gemeinschaftlich gearbeitet hatten, dazu gezwungen, sich als Tagelöhner auf den nunmehr gewaltsam angeeigneten Gütern französischer Grundbesitzer zu verdingen. Neben Pacht trieben die Franzosen eine Kopfsteuer in Silbermünzen ein, was zur Verschuldung und Verelendung der Bevölkerung beitrug. (Marr: 127) Streiks, Aufstände und Hungerrevolten der Bevölkerung schlugen die französischen Truppen mit Hilfe einheimischer Kolonialsoldaten (und später mit Fremdenlegionären) brutal nieder. Tausende Oppositionelle ließen dabei ihr Leben, landeten in Gefängnissen und Straflagern der Franzosen oder wurden Opfer eines ebenso engmaschigen wie ausgeklügelten Überwachungs- und Repressionssystems. Trotzdem fanden antikoloniale Organisationen in den 1930er Jahren immer mehr Anhänger, insbesondere die Kommunistische Partei Indochinas (KPI).1931 musste der Chef der französischen Kolonialpolizei eingestehen (Jennings: 135): „Wir haben niemanden mehr auf unserer Seite. Die Mandarine, denen wir nie ausreichende moralische und materielle Zugeständnisse gemacht haben, dienen uns lediglich unter Vorbehalt und können nicht viel bewirken. Die Bourgeoisie hält zwar nichts vom Kommunismus, sieht darin jedoch, wie in China, ein vorzügliches Instrument zur Verteidigung nach außen. Die Jugend opponiert in ihrer Gesamtheit gegen uns ebenso wie die immense Masse der verelendeten Bauern und Arbeiter. Fakt ist, dass hier wesentlich mehr vonnöten ist als nur Repression.“ Die Franzosen versuchten, dem wachsenden Unmut gegen ihre Herrschaft zu begegnen, indem sie konservative und religiöse Honoratioren in ihre Kolonialverwaltung einbanden. Die von 1936 bis 1938 in Frankreich regierende Volksfrontregierung unter Léon Blum ließ zudem 1.500 politische Gefangene amnestieren und hob das Versammlungsverbot auf, so dass 1938 in Hanoi 25.

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