Der endgültige Abzug der USA aus Afghanistan ist nachvollziehbar. Im Namen der Menschlichkeit aber darf das nicht der letzte Schritt gewesen sein.
Der endgültige Abzug der USA aus Afghanistan ist nachvollziehbar. Im Namen der Menschlichkeit aber darf das nicht der letzte Schritt gewesen sein. Gespenstisch wirkt der letzte Schritt eines US-amerikanischen Soldaten auf afghanischem Boden. Aufgenommen mit Hilfe eines Nachtsichtgerätes. Sein Gewehr in der rechten Hand, beleuchtet nur von ein paar Scheinwerfern am Flughafen von Kabul, beschreitet Generalmajor Chris Donahue, Kommandeur der 82. US-Luftlandedivision, das vorerst letzte militärische Kapitel der Vereinigten Staaten am Hindukusch. Das Foto hält Historisches fest: Nach 20 Jahren Krieg und Frieden ist dieser letzte Schritt Donahues ein kleiner für einen Menschen und ein noch kleinerer für die Menschlichkeit. Denn zurück bleiben nun jene, die es nicht geschafft haben. Jetzt wird es vermeintlich still in und um Kabul. Die Weltöffentlichkeit wird kaum noch anwesend sein. Schon deshalb, weil nur noch sehr wenige Journalisten aus dem Land werden berichten können. Dabei waren schon die Bilder der vergangenen zwei Wochen aus Kabul voller Grausamkeit. In vollkommener Hoffnungslosigkeit klammerten sich Menschen an Flugzeuge und stürzten vom Himmel in den sicheren Tod. Verzweifelte Mütter und Väter reichten ihre Babys und Kinder über Stacheldraht am Flughafen in die Obhut von US-Soldaten. Dazu der blutgetränkte und von Leichen übersäte Graben vor dem Gelände nach dem Anschlag. Tränen, Trauer und Schreie. Ein neuerliches Video zeigt, wie Taliban -Kämpfer offenbar einen Menschen erhängen, indem sie ihn über Kabul aufsteigen lassen, aufgeknüpft an einem der erbeuteten Black-Hawk-Helikopter.* Es sind Bilder von Schmach, Sadismus und Schändlichkeit. “Jetzt ist unsere 20-jährige Militärpräsenz in Afghanistan zu Ende”, ließ US-Präsident Joe Biden in einem Statement aus dem Weißen Haus verkünden. Das Ende des längsten Krieges in der US-amerikanischen Geschichte ist besiegelt. Und damit auch das Schicksal von Millionen Afghanen. Seinen Außenminister Antony Blinken ließ Biden schon mal verhaltenen Optimismus verbreiten: “Ein neues Kapitel amerikanischen Engagements in Afghanistan hat begonnen”, sagte er am Montagabend vor der Hauptstadtpresse. Das militärische Kapitel sei zwar zu Ende, ein diplomatisches aber beginne zugleich.