Der Krieg in der Ukraine wühlt diejenigen besonders auf, die selbst schon einen Krieg miterleben mussten. Was machen die aktuellen Bilder mit ihnen, wie gehen sie damit um? Werner Beinert (92), Monika Jacob (83) und Ingrid Janik (80) erzählen davon – aus drei unterschiedlichen Perspektiven.
Werner Beinert ist ein freundlicher und fröhlicher Mann. Er lächelt verschmitzt unter seiner Schiebermütze hervor, er erzählt aus seiner Kindheit und von seiner Familie. Aber die vergangenen Wochen haben ihn aufgewühlt. Das, was gerade in der Ukraine passiert, trifft den 92-Jährigen anders und direkter als Menschen der Nachkriegsgeneration. „Die Scheiße geht wieder los“ – das waren seine ersten Gedanken, als Putin vor vier Wochen seine Truppen in Bewegung setzte, um ein friedliches Land zu zerstören. Jeder Krieg ist etwas anders, aber jeder Krieg ist auch irgendwie gleich. Menschen sterben, Menschen müssen ihre Heimat verlassen, Städte werden zerbombt. Das war im Zweiten Weltkrieg so, den Werner Beinert miterlebt hat. Und das ist jetzt wieder so. Manche der russischen Soldaten befanden sich gerade noch in einem Manöver an der ukrainisch-belarussischen Grenze – und auf einmal wurden sie in einen Angriffskrieg kommandiert. So ähnlich landete Werner Beinert in den letzten Kämpfen des Jahres 1945. Geboren zwischen Rochlitz und Mittweida, aufgewachsen bei Glauchau und Obergräfenhain, wurde er als 15-Jähriger zum Arbeitsdienst eingezogen. Aber plötzlich sollte er in Böhlen als Flakhelfer amerikanische Flugzeugangriffe abwehren – und sah sich kurz darauf amerikanischen Panzern gegenüber. Bei einer Attacke von Jagdbombern wurde direkt neben ihm jemand in den Kopf getroffen, um ihn herum starben die Soldaten. „Das waren die ersten Toten, die ich gesehen habe“, erzählt Beinert. Er selbst blieb wie durch ein Wunder unversehrt. Bis August 1945 kam er in Gefangenschaft. Es war eine Zeit des Hungers. Als er zurückkam, konnte er sich nicht mehr bewegen und musste mit Haferschleim gefüttert werden, so schwach war er. Beinert erkrankte an Typhus. „Wer Krieg nicht erlebt hat, der weiß nicht, was Krieg bedeutet – meine Jugend ist kaputtgegangen.“ Nur eine gute Nachricht gab es in all dem Leid: Sein Vater kehrte vom Balkan zurück in die Heimat. Wie viele Mütter und Kinder werden ihre Männer und Väter wiedersehen, wenn der Krieg in der Ukraine vorbei ist? Wie viele Familien wird es zerrissen haben? Sechs Mal am Tag hört Werner Beinert die Nachrichten im Radio und informiert sich manchmal bei einem Nachbarn, der einen Fernseher hat. Er lebt im Bad Lausicker Seniorenzentrum Paul Gerhardt der Diakonie Leipzig, seit seine Frau vor acht Jahren verstorben war. Was soll man jetzt tun, was sollen die Ukrainer machen? Der 92-Jährige, der bis eben noch munter erzählt hat, wird plötzlich stumm. Er nimmt sein Glas und trinkt einen Schluck Bier. „Raten?“, fragt Beinert, „was soll man da raten?“ Es ist eine lange Pause, der Mann wirkt nachdenklich. „Russland ist für Russland, und die Ukraine ist für die Ukraine. Die Nato hat sich ausgedehnt, und Russland will zurück zur alten Macht. Keiner gibt nach.“ Eine Antwort findet Werner Beinert nicht. Aber das geht ja gerade irgendwie allen so. Fest steht für den 92-Jährigen: „Alle wollen Frieden, nur Putin nicht – dieser Ochse!“ Russlands Gewaltherrscher lässt in der Ukraine ganze Städte dem Erdboden gleichmachen. Mariupol, Charkiw, Donezk: Überall heulen Sirenen, fallen Bomben, Mütter mit kleinen Kindern suchen Schutz in U-Bahn-Stationen und Luftschutzkellern.