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„Ich konnte nicht aufhören zu weinen“

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Um sie herum Verletzte und Tote, ihre Wohnungen und Büros zerstört: Sechs Menschen aus Beirut erzählen von der Folgen der verheerenden Explosion am Dienstag.
Mindestens 70 Tote, Tausende Verletzte, Beirut wurde zur „Katastrophenzone“ erklärt: Das ist vorläufige Bilanz der Explosionen, die libanesische Hauptstadt am Dienstag erschütterten. Wir haben sechs Bewohnerinnen und Bewohner Beiruts gefragt, wie sie das Unglück erlebt haben. Saleem Zein,24, Lehrer “Vor einigen Tagen habe ich mir ein Airbnb-Apartment in dem Szeneviertel Mar Mikhael gemietet, da ich mich mit Covid-19 infiziert habe und meine Familie, mit der ich zusammenlebe, nicht anstecken wollte. Ich lag am Dienstagabend im Bett, als ich plötzlich merkwürdige Geräusche wahrnahm. Wie ein Flugzeug, das immer näher und näher kommt. Irgendwann war dieses Geräusch nicht mehr auszuhalten, das vermeintliche Flugzeug musste sich direkt vor meinem Haus befinden. Als ich meinen Balkon betrat, um nachzuvollziehen, was es mit diesem ohrenbetäubenden Krach auf sich hatte, höre ich den ersten Knall. Ich erschrak so sehr, dass ich wieder zurück in die Wohnung lief. Im selben Moment explodiert plötzlich das ganze Apartment und alle fünf Wohnungen auf meiner Etage. Da waren keine Wände mehr, die Wohnungen voneinander trennten. Alles brach zusammen. Wir rannten alle barfuß und halb nackt hinunter auf die Straße. Viele bluteten. Die Szene war einfach nur surreal. Ich stürmte noch einmal zurück in die Wohnung, um meinen Laptop, mein Handy und mein Portmonee zu suchen und lief dann zum Haus meiner Familie. Hunderte Opfer lagen auf den Straßen, die Menschen waren blutüberströmt, teilweise bereits tot. Gemeinsam mit Freunden, die auch mit Corona infiziert sind, verließ ich Beirut noch in der Nacht. Wir sind in die Berge gefahren. Ich habe ständige Flashbacks und längst nicht alles verarbeitet. Ich bin ehrlich gesagt auch noch nicht bereit dazu, zurück nach Beirut zu fahren und meine Heimatstadt so zerstört zu sehen.” Frieda Siering,23, Berliner Studentin in Beirut “Ich saß mit meinen Freunden in einem Café, als einer meiner Kommilitonen auf seinem Laptop die Meldungen über das Feuer im Hafen sah. Wir versammelten uns um seinen Computer, um die Nachrichten zu verfolgen. Auf einmal hörten wir einen Ton, den ich bis jetzt nicht aus meinem Ohr bekomme. Ein verstörendes Geräusch, wie ein Flugzeug was viel zu niedrig fliegt. Dann kam die Druckwelle. Pures Chaos. Neben mir schmissen sich meine Freunde auf den Boden, überall waren Scherben, Staub lag in der Luft. Ein Mann neben mir hatte eine stark blutende Wunde am Bein. Beim genaueren hinsehen, sah ich, dass sein Bein offen war. Ich trug ein weißes Kleid und hatte nicht mal einen Blutspritzer abbekommen. Neben mir krochen die Menschen aus den Trümmern. Mein erster Gedanke war, dass das Café bombardiert wurde. Ich konnte es mir nicht anders erklären. Ich war mir sicher, gerade einen Anschlag überlebt zu haben. Als erstes habe ich dann versucht, meine Freunde und Familie zu erreichen. Meine Freunde waren unglaublich besonnen, viele sind sehr strategisch vorgegangen. [Mehr zum Thema: Wirtschaftskrise im Libanon – zur Wut gegen die Eliten kommt die pure Verzweiflung] Ich hatte das Gefühl, dass alle wussten, wie sie jetzt handeln müssen. Sicherlich trug dazu auch der letzte Krieg mit Israel bei. Ich kann es immer noch nicht in Worte fassen, was mit Beirut an diesem Dienstagabend passiert ist. Die Stadt ist zerstört. Nicht nur die Viertel am Hafen, selbst in den entlegensten Bezirken sind die Schäden noch immens.

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