Die griechischen Inseln, die Balkanroute, der Ärmelkanal und die weissrussische Grenze: Noch immer versuchen täglich Migranten, unter Lebensgefahr nach Europa zu gelangen.
Die griechischen Inseln, die Balkanroute, der Ärmelkanal und die weissrussische Grenze: Noch immer versuchen täglich Migranten, unter Lebensgefahr nach Europa zu gelangen. Ein kleines Frachtschiff mit rund 400 Personen an Board soll nun in einem griechischen Hafen anlegen. Aufnahme der griechischen Küstenwache,29. Oktober 2021. Die neusten Entwicklungen In welchen Regionen sind besonders viele Migranten unterwegs, und wie ist die Lage dort? Griechische Inseln Weil viele Inseln vor der türkischen Küste zu Griechenland gehören, versuchen fast täglich Migranten, per Boot auf diesem Weg in die EU zu gelangen. Wenn sie nicht von der Küstenwache abgefangen und zurückgeschickt werden (siehe unten unter «EU») oder ihr Boot kentert und sie ertrinken, stranden sie in Lagern auf den Inseln Samos, Lesbos, Chios, Kos oder Leros. Die Zahl der Migranten, die auf den griechischen Inseln in der Ost-Ägäis leben, geht aktuell allerdings immer weiter zurück. In und um die Registrierungslager auf Lesbos, Samos, Chios, Kos und Leros befinden sich laut Regierungsangaben vom Oktober 2021 nur noch rund 4500 Menschen. Im September 2020 lag die Zahl insgesamt noch bei über 40 000 Flüchtlingen und Migranten. Grund für den Rückgang ist, dass die griechische Regierung vor allem Ältere, Kranke und Familien von den Inseln aufs Festland holt; viele haben mittlerweile Asyl erhalten. Die meisten der Flüchtlinge – rund 3750 (Stand 7.9.21) – befinden sich in dem provisorischen Lager Kara Tepe auf Lesbos. Dort hatten die griechischen Behörden nach dem Brand im berüchtigten Lager Moria Anfang September 2020 ein Ausweichlager errichtet. Laut Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen und Oxfam sind die Bedingungen in Kara Tepe jedoch keineswegs besser: Die Menschen, die meisten von ihnen Familien mit Kindern, schlafen demnach in einfachen Zelten, es gibt kein fliessendes Wasser, keine Duschen und zu wenige Toiletten. Zudem litten viele Babys und Kinder an chronischen Krankheiten wie Herzkrankheiten, Asthma und Diabetes. Das direkt am Meer errichtete Lager wurde durch Wellen, heftige Regenfälle und Schneeschmelze bereits mehrmals überspült. Es ist von Stacheldraht umzäunt und wird ständig überwacht. Wegen der Corona-Pandemie gilt eine Ausgangssperre. Die Menschen dürfen nicht einmal selber kochen wegen der Feuergefahr. Die Versorgung mit Lebensmitteln ist völlig unzureichend. Laut Human Rights Watch ist das Gelände, das teilweise früher als Truppenübungsplatz für das griechische Militär diente, zudem mit Blei verseucht. Das aus Zelten bestehende Lager Kara Tepe auf Lesbos im März 2021. Griechisch-türkisches Grenzgebiet Griechenland hat im August 2021 einen 40 Kilometer langen, elektronisch überwachten Metallzaun an der Grenze zur Türkei fertiggestellt. Jenseits der Grenzen patrouillieren türkische und griechische Sicherheitskräfte, letztere unterstützt von Einheiten der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Zudem versucht Griechenland mit Schallkanonen Flüchtlinge vom Übertritt aus der Türkei abzuhalten. Das Vorgehen trug der Regierung in Athen im Juni 2021 Kritik vonseiten der EU ein. Laut dem Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sind in diesem Jahr bis zum 29. August über 5300 Flüchtlinge in Griechenland aus der Türkei angekommen, davon 1890 über den Seeweg. Im Februar 2020 war die Situation an der Landgrenze für einige Tage sehr angespannt, nachdem die türkische Regierung verkündet hatte, die Grenze zu Griechenland sei geöffnet und sie werde Migranten nicht am Grenzübertritt hindern. Tausende von Geflüchteten und Migranten machten sich daraufhin auf den Weg; griechische Grenzschützer versuchten jedoch, sie mit Tränengas und laut Berichten teilweise auch mit Schüssen vom Übertritt abzuhalten. Libysche Küste Libyen hat sich zum zentralen Transitland für Migranten auf dem Weg nach Europa entwickelt. Von hier aus versuchen immer wieder Flüchtlinge und Migranten die gefährliche Überfahrt nach Italien. Viele von ihnen greift die libysche Küstenwache auf und bringt sie zurück in das nordafrikanische Land. Seit dem Sturz von Langzeitherrscher Muammar al-Ghadhafi im Jahr 2011 herrschen dort Bürgerkrieg und Chaos. Nichtregierungsorganisationen, aber auch das Uno-Menschenrechtsbüro kritisieren seit langem, dass Libyen kein sicherer Ort für Migranten ist. Die Menschen würden in Lager gebracht und oft misshandelt, gefoltert und missbraucht. Die libysche Küstenwache wird von der EU unterstützt, immer wieder gibt es aber Berichte über kriminelles Verhalten. Mitte Oktober 2020 wurde ein ehemaliger Kommandeur der Küstenwache festgenommen, weil er mit anderen zusammen Boote voller Migranten durch Beschuss zum Sinken gebracht haben soll. Im Juni 2021 kritisierten die Internationale Organisation für Migration und das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, dass das unter der Flagge von Gibraltar fahrende Schiff Vos Triton über 270 in internationalen Gewässern aufgegriffene Schiffbrüchige zurück nach Tripolis gebracht hat, wo sie den libyschen Behörden übergeben wurden. Migranten im März 2021 an Bord eines Schiffes der libyschen Küstenwache. Ceuta und Melilla – spanische Exklaven in Nordafrika Die «autonomen Städte» Ceuta und Melilla befinden sich an der nordafrikanischen Küste, sind aber spanische Exklaven und gehören somit zur Europäischen Union. Sie rücken immer dann in den Fokus, wenn Marokkaner oder Migranten, die es nach Marokko geschafft haben, in grossen Gruppen versuchen, die Orte umgebenden Zäune und Mauern zu überwinden. Die EU zahlt an Marokko Finanzhilfen für den Grenzschutz. Zuletzt stand Ceuta Mitte Mai 2021 im Mittelpunkt, als rund 8000 zumeist junge Marokkaner und auch viele subsaharische Migranten und Kinder nach der faktischen Grenzöffnung durch Marokko schwimmend die Exklave erreichten. Laut Spaniens Innenministerium hatten es zuvor zwischen Januar und Mitte Mai etwa 475 Migrantinnen und Migranten auf dem See- oder Landweg nach Ceuta geschafft, was doppelt so viele waren wie im Vorjahreszeitraum. Auch in Melilla versuchten Hunderte von Menschen die Stacheldrahtzäune zu überwinden. Die spanischen Behörden haben etwa 5600 Personen sofort nach Marokko zurückgeschoben, man fühle sich wegen des Streits um die Westsahara erpresst. Die Einwohner Ceutas dagegen fürchten, dass sich ihre Stadt zu einem neuen Lesbos entwickeln könnte. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International werfen Spanien und Marokko vor, Migranten als Spielball zu benutzen. Kanarische Inseln Auf den etwa 100 Kilometer vor der Küste Marokkos liegenden spanischen Inseln sind 2020 ungefähr 23 000 Menschen angekommen. Zwischen Januar und Mitte August 2021 waren es laut dem spanischen Innenministerium 8222. Die meisten von ihnen setzen in offenen Holzbooten aus Afrika über. Dabei kommt es immer wieder zu tödlichen Unglücken. Erst im August kenterte ein Boot mit über 50 Personen aus Côte d’Ivoire, eine einzige Frau überlebte. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 sind laut der Internationalen Organisation für Migration mindestens 250 Personen auf dem Weg zu den Kanarischen Inseln ums Leben gekommen.