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Nach dem Krieg: Syrer müssen Wiederaufbau selbst bezahlen

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Aleppo liegt nach einem internationalen Stellvertreterkrieg in Trümmern. Für den Wiederaufbau müssen die Unternehmen wegen der Sanktionen allerdings selbst aufbringen.
Mit 17 Industriegebieten in der Stadt und Umgebung war Aleppo 2011 vor dem Krieg die Wirtschaftsmetropole Syriens. Täglich verließen Waren im Wert von rund 6 Millionen US-Dollar die 40.000 Fabriken und Familienunternehmen von Aleppo in alle Welt. Mit der Aufnahme von Verhandlungen über die Kooperation mit der Türkei, Libanon und Jordanien sah die Welthandelsorganisation (WTO) Syrien bereits 2010 in einem steilen wirtschaftlichen Aufschwung. Hätte die Entwicklung angehalten, wäre Syrien 2015 die fünftstärkste Ökonomie der arabischen Länder gewesen. Heute liegt das Land in Trümmern.
Die Zerstörung von Aleppo habe „verheerende Schäden“ angerichtet, sagt Fares Shehabi im Interview mit den Deutschen Wirtschafts Nachrichten in Aleppo. Alle Fabriken seien ohne Ausnahme geplündert, ganz oder teilweise zerstört worden. Nicht ein einziges der 40.000 Unternehmen sei von dem Krieg verschont geblieben. Rund 10.000 Fabriken – große, kleine und mittlere Betriebe – hätten die Arbeit wieder aufgenommen. Die restlichen 30.000 Unternehmen seien zerstört oder versuchten, den Betrieb wieder aufzunehmen. Zudem gebe es Fabriken in den von der al-Nusra Front kontrollierten Gebieten westlich von Aleppo. Betroffen seien vor allem Textilfabriken, Betriebe zur Verarbeitung von Lebensmitteln, Maschinenbauer, Glas- und Olivenöl verarbeitende Betriebe.
Die Plünderung in Aleppo habe bereits 2012 begonnen. Verantwortlich sei die „Freie Syrische Armee“ gewesen. Die große Industriestadt Scheich Najjar und das innerstädtische Industriegebiet Lairamun mit seinen 1000 Unternehmen seien geradezu überfallen worden. Vier Jahre hätten die vom Westen als „moderate Rebellen“ bezeichneten Gruppen die Industriegebiete besetzt gehalten, so Shehabi. Ihr Hauptquartier hätten sie im Kinderkrankenhaus und in der Augenklinik in Ost-Aleppo aufgeschlagen. Das Al Kindi-Krankenhaus, die drittgrößte Klinik im Mittleren Osten zur Behandlung von Krebserkrankungen, sei durch Autobomben verwüstet worden. Maschinen, Fuhrparks, Computer, Möbel, Materialien hätten die Bewaffneten über die Grenze in die Türkei verkauft. Nach der Rückeroberung der Industriezonen durch die syrische Armee und ihre Verbündeten 2014 hätten die Unternehmer die Schäden in ihren Betrieben aufgenommen. Gemeinsam habe man gegen die Türkei eine Klage angestrengt, berichtet Fares Shehabi.
Fares Shehabi: Wir haben hier in Aleppo eine Versammlung aller Wirtschaftszweige organisiert. Ähnliches gab es in Damaskus und Homs – überall, wo es große Verwüstungen gab. In Aleppo kamen die Gewerkschaften, die Bauernvertreter, Handel, Industrie, Tourismus zusammen – alle waren dabei. 2016 dann haben wir Klage in Straßburg und in Den Haag gegen die Türkei eingereicht. Entscheidungen gibt es noch nicht.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wurde die Klage abgewiesen?
Fares Shehabi: Es ist noch nicht entschieden, aber wir haben alle Beweise eingereicht. Und wir können alles wirklich bis ins Detail beweisen. Die Klage wurde vom syrischen Anwaltsverband geschrieben, damals war es ausschließlich die syrische Zivilgesellschaft, Unternehmens- und Berufsverbände, die sich beteiligten. Inzwischen wird die Sache aber vom Justizministerium weiter verfolgt. Ich denke, die EU wird nichts gegen die Türkei, gegen Erdogan unternehmen, weil sie ja zusammengearbeitet haben. Er sorgte dafür, dass alle diese Kämpfer, die Söldner und ihre Waffen durch die Türkei nach Syrien kommen konnten. Wir haben wirklich handfeste Beweise, dass Handlanger der Türkei unsere Fabriken geplündert haben. Schwere Maschinen wurden über die Grenze in die Türkei gebracht – unter den Augen der türkischen Grenzpolizei. Wäre so etwas in Deutschland möglich? Dass schwere Maschinen aus Polen über die Grenze kommen, ohne dass man sich die Papiere ansieht? Ganze Produktionsstraßen wurden abgeschleppt.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Es scheint, dass die Türkei das Lager gewechselt hat. Sie kooperiert heute mit Russland und Iran, die beide mit Syrien verbündet sind. Glauben Sie, dass die Türkei ihre Politik gegenüber Syrien ändern wird?
Fares Shehabi: Um ehrlich zu sein, ich traue der Türkei nicht.

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