Boris Johnsons „Wer zuckt zuerst“-Taktik ist man in Europa gewöhnt. Doch mit seinem Ansinnen, das EU-Austrittsabkommen zu untergraben, ist eine neue Eskalationsstufe erreicht. Der Plan des britischen Premiers trifft einen Kernpunkt.
Vier Monate vor dem endgültigen Ende der britischen EU-Mitgliedschaft eskaliert der Streit zwischen Brüssel und London über die künftigen Beziehungen. Premier Boris Johnson plant, das im Herbst 2019 nach zähen Verhandlungen geschlossene Austrittsabkommen durch nationale Gesetzgebung zu untergraben. Zugleich gibt der Konservative den Europäern klar zu verstehen, dass er lieber am Ende des Jahres ohne eine Einigung über die künftigen Beziehungen aussteigt, als mit der EU Kompromisse einzugehen. „Wir müssen uns bis zum 15. Oktober einigen. Wenn wir bis dahin kein Freihandelsabkommen finden, müssen das beide Seiten akzeptieren“, erklärte der Premier unmittelbar vor Beginn einer neuen Verhandlungsrunde in London. Ein „NoDeal“-Ausstieg sei „ein gutes Ergebnis für das Vereinigte Königreich“. Am 31. Dezember endet jene Übergangsfrist, während der im Vereinigten Königreich auch nach dem juristisch bereits am 31. Januar 2020 vollzogenen Brexit bisher alle EU-Regeln vorerst weitergelten. Brüssels Chefunterhändler Michel Barnier führt mit seinem britischen Gegenüber David Frost seit dem Frühjahr Gespräche über ein Freihandelsabkommen. Doch diese Verhandlungen stecken seit ihrem Beginn fest. Enden sie in einem „No Deal“, müssen die Handelsbeziehungen zwischen Insel und Kontinent auf Basis der Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) gestellt werden. Was für beide Seiten teure Folgen in Hinblick auf Zölle und Quoten hätte. Dass Johnson einer „Wer zuckt zuerst“-Taktik folgt, ist nicht neu. Schon 2019, als mit dem Austrittsabkommen der erste Teil des Brexits verhandelt wurde, hatte er bis zum Schluss mit einem „No Deal“ gedroht.