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30 Jahre Einheit: Wir im Westen haben uns das zu einfach vorgestellt

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Seit 30 Jahren gibt es wieder ein vereintes Deutschland. Doch der Prozess der Wiedervereinigung lief nicht so einfach ab, wie sich das die meisten vorgestellt hatten.
Wer durch die DDR fährt, sieht nicht nur blühende Landschaften. Er sieht ebenso Stellen, an denen noch gesät und gedüngt werden muss. Gleichwohl ist die Geschichte des vereinten Landes ein Erfolgsgeschichte – und zwar nicht nur wirtschaftlich.16 Millionen Menschen genießen Freiheiten, von denen sie vor 1989/90 nur träumen konnten. Wenn Ostdeutsche heute über eingeschränkte Grundrechte wegen Corona klagen, werden sie dennoch zugestehen müssen, dass sie vor dem Mauerfall über so viele “eingeschränkte Freiheiten” glücklich gewesen wären. Über den Autor: Hugo Müller-Vogg Dr. Hugo Müller-Vogg ist Journalist, Buch-Autor und ehemaliger Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Wiedervereinigung: Bessere Infrastruktur und höhere Renten Der wirtschaftliche Fortschritt ist ebenfalls unübersehbar. Die Wirtschaftskraft der neuen Länder einschließlich Berlins beträgt 79 Prozent des gesamtdeutschen Durchschnitts – gegenüber etwa 30 Prozent im Jahr 1989. Die Infrastruktur von heute ist mit der zu DDR-Zeiten nicht mehr vergleichbar; sie ist teilweise besser und moderner als in der alten Bundesrepublik. Die Ausstattung der Haushalte mit Konsumgütern hat westliches Niveau erreicht. Und der ostdeutsche Rentnerhaushalt bezieht im Durchschnitt eine höhere gesetzliche Rente als der westdeutsche, weil in der DDR mehr Frauen berufstätig waren als in den alten Bundesländern. Dieses schöne Bild wird gestört durch Umfrageergebnisse, wonach die Mehrheit der Ostdeutschen (57 Prozent) sich als Bürger zweiter Klasse fühlt. Was zeigt, dass die viel zitierte Mauer in den Köpfen durchaus noch steht, jedenfalls stellenweise. Denn der Prozess der Vereinigung lief nicht so einfach ab, wie sich das die meisten vorgestellt hatten: Erst kommt die D-Mark, dann die Markwirtschaft – und dann läuft alles wie von selbst. Auch nach Wiedervereinigung: Bürger waren stolz auf DDR Wer so dachte, mich eingeschlossen, hatte sich getäuscht. Und hatte übersehen, wie groß die Unterschiede zwischen Ostdeutschen und Westdeutschen waren – in Bezug auf ihr bisheriges Leben, Mentalität und Befindlichkeit. Die Bürger der DDR lebten in einem Unrechtsstaat. Aber sie haben allen Widrigkeiten zum Trotz ihrem Leben einen Sinn gegeben.

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