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Deniz Yücel: Haymatloze Türkei

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Nicht nur Deniz Yücel ist Opfer eines Staates, der immer totalitärer wird. Die Willkür kann jeden ereilen. Die Wurzeln hierfür liegen in der türkischen Geschichte.
Ich
traf Deniz Yücel im Dezember vergangenen Jahres während meiner
Gastprofessur in Zürich. Wir waren beide zu einer Podiumsdiskussion
zum Thema Türkei eingeladen, er als Journalist, ich als
Wissenschaftlerin. Deniz Yücel war direkt aus Istanbul nach Zürich
angereist. Ihn zeichnet aus, worum ich ihn an dem Abend
sehr beneidete: der unerschütterliche Glaube daran, dass die Dinge
gut werden, gepaart mit einer kindlichen Unvoreingenommenheit.
Ich
sehe die Dinge pessimistischer, aber hielt mich an diesem Abend mit düsteren
Prognosen zurück. Meine Bitte an ihn, nach Deutschland
zurückzukehren, da auch für ihn die Situation als Korrespondent in
der Türkei immer schwieriger und gefährlicher werde, nahm er
wohlwollend zur Kenntnis. Denn die beiden anderen Dinge, die Deniz Yücel
auszeichnen, sind sein Ethos als Journalist und seine Liebe zur
Türkei. Solche Arbeit erfordert Nähe, Begegnung und Engagement,
nicht Distanz.
Deniz
Yücel sitzt nun, wie viele andere Journalisten, in einem türkischen
Gefängnis. Und die Türkei läuft Gefahr, sich in einen totalitären
Staat zu verwandeln. Die administrative und politische Willkür im
Ausnahmezustand trifft die Menschen unvorbereitet, und sie trifft
jeden. Die offene Demontage der Institutionen- und Rechtssicherheit
zerstört das Investitionsklima. Die massenhaften Entlassungen von
Beamt_innen und Mitarbeiter_innen im öffentlichen Dienst haben schon
jetzt zur Folge, dass die Verwaltung praktisch zum Erliegen kommt.
Auch
die Universitäten sind Leidtragende: Studiengänge, Institute und ganze
Fakultäten werden geschlossen, weil Wissenschaftler_innen entlassen
wurden. Damit nicht genug: Menschen, die im Rahmen dieser sogenannten Säuberungsaktionen ihre Arbeit verlieren, haben unter den
gegenwärtigen Bedingungen und mit Blick auf die Zukunft keine
Aussicht auf eine neue Anstellung. Drohungen der Art, dass
Wissenschaftler_innen mit ihrer Entlassung und dem Ende ihrer
Karriere zu rechnen hätten, wenn sie die politische und
gesellschaftliche Situation kritisieren, gab es bereits vor dem
Putschversuch vom 15.

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