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Großbritannien auf dem Weg in eine schwere Wirtschaftskrise

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Großbritannien steht am Rande einer klassischen Pfundkrise. Kaum einer der Player – Wirtschaft, Notenbank oder Parteien – können das Problem lösen.
Theresa May ist nur noch Kanzlerin des Übergangs. Bei der zeremoniellen Queen’s speech präsentierte sie ein Programm auf Abruf. Praktisch alle Punkte ihrer innenpolitischen Agenda im Wahlkampf wurden fallengelassen. Schwerpunkt ist einzig der Brexit, die Scheidung von der Europäischen Union. Statt eines starken Mandats der Regierung ist sie in allen wichtigen Entscheidungen von der Zustimmung des Unterhauses abhängig. Dieses ist dominiert von Brexit-Gegnern und Soft-Brexit Idealisten.
Die Queen’s speech ist üblicherweise eine pompös inszenierte Formalität. Die Königin verliest die Agenda der Regierung für die Legislaturperiode, und zwar vom Thron im Oberhaus (‚house of lords’ ) . Weil die Unterhauswahlen vom 8. Juni in einem ‚hung parliament’ endeten, erscheint die Zustimmung zu dieser Agenda im Unterhaus (‚house of commons’ ) nicht gesichert. De facto handelt es sich um eine Art Vertrauensabstimmung im Unterhaus. Diese Abstimmung findet nach rund einwöchigen detaillierten Diskussionen der Rede im Ober- und Unterhaus statt. Bei diesen Diskussionen können auch Anträge auf Veränderung der Rede gestellt werden. Sollte die Regierung May bei der Schlussabstimmung nicht durchkommen, würde wohl, der Tradition entsprechend, der Oppositionsführer Corbyn für 14 Tage die Möglichkeit erhalten, eine Regierung zu bilden.
Zeitlich ist das Programm für die nächsten zwei Jahre ausgelegt. Das ist wegen der Brexit-Verhandlungen anders als üblich. Normal wird die Agenda jeweils für ein Jahr bestimmt. Diese Abweichung ist an sich verständlich und sachgerecht.
Inhaltlich, politisch und formell präsentierte die Premierministerin ein Programm der Schwäche und Ungewissheit. Sie strich praktisch alle Punkte aus ihrem wirtschafts- und sozialpolitischen Wahlprogramm, weil sie wohl keine Mehrheiten zusammenbekäme oder sich nach dem überraschenden Wahlausgang nicht mit der Grundstimmung in der Bevölkerung konfrontieren will.
Das Versprechen, die Immigration auf wenige 10’ 000 Personen pro Jahr zu begrenzen, wurde gekappt. Die Heizkostenzuschüsse von 300 Pfund pro Haushalt werden beibehalten. Die geplante Erbschaftssteuer für pflegebedürftige Hausbesitzer, die sogenannte ‚dementia tax’ , wird abgeblasen. Die Mittagsverpflegung wird für alle Schüler weiterhin gratis abgegeben. Explizit erwähnt die Rede, dass angesichts des Wahlausgangs auf die Austeritätspolitik verzichtet werden soll.
Noch selten hat eine Regierung angesichts einer Wahlschlappe einen derart schnellen Kurswechsel vorgenommen. Für die Premierministerin ist dies ein beispielloser Gesichtsverlust. Sie musste sogar insofern Besserung in Aussicht stellen, als sie einen kooperativen Führungsstil versprach, anstelle des Bilds der harten eisernen Lady, wie sie vor den Wahlen suggeriert hatte. Sie ist aber wohl dazu gezwungen, weil sie sonst den Sturz und Unterhauswahlen zum unerwünschten Zeitpunkt riskiert. Neben diesen sozialpolitisch wichtigen Punkten wurden auch Symbole wie eine Wiedereinführung der Fuchsjagd gestrichen. Diese ist ein klassisches Relikt der englischen Aristokratie. Insgesamt ist der innenpolitische Teil vage und ungewiss.
In Bezug auf den Brexit wird die Regierung dem Parlament 8 verschiedene Gesetze vorlegen. Das Parlament wird also über alle Schwerpunkte befinden und isoliert über jeden abstimmen können. Das ist das Gegenteil von dem, was die Premierministerin May zunächst anvisiert hatte. Sie wollte zunächst überhaupt kein Mitsprache- oder Entscheidungsrecht des Parlaments. Dabei machte ihr das oberste Gericht einen Strich durch die Rechnung, indem es die finale Entscheidung über den Brexit dem Parlament (aber nicht einer Volksabstimmung) unterwarf. Und mit der vorgezogenen Neuwahl wollte May ein Parlament, bei dem sie unangefochten durchregieren und lediglich ein Gesamtpaket präsentieren kann. Jetzt wird stattdessen über jeden einzelnen thematischen Bereich isoliert abgestimmt, und jeder mit Bestimmtheit mit Anträgen und Gegenvorschlägen eingedeckt. Angesichts der äußerst knappen Mehrheitsverhältnisse im Parlament kann die Regierungschefin somit auf jedem einzelnen Punkt leicht überstimmt werden. Eine solche Situation erschwert die Brexit Verhandlungen ungemein.
Die 8 vorgeschlagenen Brexit-Gesetze betreffen unter anderem die folgenden Punkte:
– Ein Aufhebungs-Gesetz soll den Europäischen Gemeinschafts-Akt von 1972 aufheben und die gegenwärtigen EU-Gesetze in britisches Recht überführen, so dass überhaupt ein Rechtsrahmen für viele Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft existiert. Das ist ein großer Brocken und Anlass für viele Änderungsvorschläge.
– Ein Zoll-Gesetz wird die EU Zollregeln ersetzen und der Regierung die Möglichkeit geben, Zölle in Eigenregie festzulegen.

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