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Terrorismus: Ständig neue Terroranschläge – was macht das mit uns?

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London/Berlin (dpa) – Gerade aufgestanden, erster Blick aufs Handy: Schon wieder ein Terroranschlag! Wie oft hat es diesen Moment in letzter Zeit gegeben. Die
London/Berlin (dpa) – Gerade aufgestanden, erster Blick aufs Handy: Schon wieder ein Terroranschlag! Wie oft hat es diesen Moment in letzter Zeit gegeben. Die Abstände dazwischen scheinen immer kürzer zu werden.
Am Sonntag gedachte Manchester mit einem Benefizkonzert der Toten des Anschlags vom 22. Mai – aber zu diesem Zeitpunkt waren in London schon wieder sieben neue Opfer zu beklagen.
“Der Blitz schlägt niemals zweimal am selben Ort ein”, sagt ein Sprichwort. Doch beim Terror gilt das nicht mehr. Zweimal wurde London in den vergangenen drei Monaten getroffen, und beide Male fuhren die Täter auf einer Brücke mit Autos in eine Menschenmenge und gingen anschließend mit Messern auf Zufallsopfer los.
Die Häufung der Anschläge erzeugt ein Klima stetiger Alarmierung. “Wir werden wohl auf lange Zeit mit dem Terror leben müssen”, hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in seiner Reaktion auf den Anschlag von London gesagt. “Gewöhnen an ihn werden wir uns nicht.” Natürlich: Man darf sich nicht daran gewöhnen. Aber tut man es nicht doch?
Nach jedem Anschlag schießt die öffentliche Erregungskurve nach oben, doch der Einbruch folgt immer schneller. Der Anschlag von Stockholm: Was geschah da nochmal genau? Die “Pray for”-Hashtags im Internet, die Solidaritäts-Bekundungen im Stil von “Je suis Charlie” nach den Anschlägen auf das Satire-Magazin “Charlie Hebdo” – sie werden seltener, und wo es sie noch gibt, wirken sie mitunter wie Rituale. Manch einer beobachtet bei sich selbst, dass er im Freundeskreis weniger über Anschläge spricht als noch vor einiger Zeit.
Anders ist es, wenn man einen persönlichen Bezug hat. Wer zufällig an der Berliner Gedächtniskirche vorbeifährt und dann sieht, dass dort noch immer Blumen für die Opfer des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt liegen, der kann für einen Moment wieder ehrlich bewegt sein. Ähnliches gilt, wenn man eine Freundin in London hat, die zum Zeitpunkt des Anschlags in der Innenstadt unterwegs war. “Ich saß in der U-Bahn fest”, schreibt sie auf WhatsApp. “Niemand durfte ein- oder aussteigen, bis die Polizei sicher war, dass wir nicht mehr in Gefahr waren.” Wenn man das liest, rückt der Schrecken plötzlich näher.
Im Allgemeinen aber gilt: Die Anschlagsfrequenz der islamistischen Attentäter überfordert auch den hartgesottensten Nachrichten-Junkie. Wenn man das Leid jedes Mal richtig an sich herankommen ließe, könnte man den Alltag kaum noch bewältigen. “Ich würde das nicht Abstumpfung nennen”, sagt der Psychiater Borwin Bandelow der Deutschen Presse-Agentur. “Das ist eine natürliche Abwehrreaktion. Keiner muss sich deshalb als gefühllos betrachten, wenn er bei sich bemerkt, dass er da zur Tagesordnung übergeht.”
Kurz innehalten, aber dann weiterleben, als wäre nichts gewesen – das entspricht der Devise, die von Politikern und Terror-Experten ausgegeben wird: “Keep calm and carry on” – ruhig bleiben und weitermachen.

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