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"Der Westen hat als Vorbild dramatisch gelitten"

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Migrationsexperte Dirk Messner: Die nächste Regierung muss die multilaterale Entwicklungspolitik stärken, um globalen Krisen zu begegnen.
Für den Migrationsexperten Dirk Messner steht fest: Die nächste deutsche Regierung muss vor allem die multilaterale Entwicklungspolitik stärken, um den globalen Krisen zu begegnen.
Kriege, Klima, Flüchtlinge, kaputte Schulen – die nächste Bundesregierung wird vor großen Herausforderungen und Problemen stehen. Die SZ befragt Experten, was diese von einer Regierung in dieser Welt voller Großaufgaben erwarten. Den Anfang machten der Politikwissenschaftler Herfried Münkler und der Klima-Forscher Ottmar Edenhofer; darauf folgten die Sozialexpertin Jutta Allmendinger und die Wirtschaftsweise Isabel Schnabe l.
Dirk Messner, 55, leitet das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik in Bonn und ist Co-Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für Globale Umweltveränderungen. Eine weitere Gesprächspartnerin wird die Integrationsforscherin Naika Foroutan sein.
SZ: Herr Messner, vor der Haustür Europas gibt es wieder Sklavenmärkte. Hat die Entwicklungspolitik versagt, wenn uns das Mittelalter in Libyen derart einholt?
Dirk Messner: Die Entwicklungspolitik kann nicht jedes Problem lösen. Zum Beispiel dann nicht, wenn die internationale Staatengemeinschaft beschließt, einen Diktator wie Muammar al-Gaddafi aus dem Weg zu schaffen, sich aber danach nicht darum kümmert, was langfristig aus dem Land wird.
Die Menschen auf diesen Sklavenmärkten suchen eine Perspektive in Europa. Offensichtlich gibt es diese in ihrer Heimat nicht – und das nach 50 Jahren Entwicklungspolitik.
Wir haben eine etwas verzerrte Wahrnehmung von der Entwicklung Afrikas. Eine ganze Reihe von Indikatoren hat sich in vielen afrikanischen Staaten gut entwickelt. Die Einschulungsrate ist gestiegen, die Sterblichkeit von Kindern und Müttern ist gesunken. Mehr Menschen haben Zugang zu Wasser. Grosso modo haben sich die meisten Sozialindikatoren dort also verbessert. Afrika ist kein Kontinent, auf dem permanent nur Katastrophen stattfinden. Aber wir haben ein Dutzend Länder, in denen Gewalt herrscht, in denen Institutionen und Wirtschaft zusammengebrochen sind oder in denen kleptokratische Autokraten herrschen. Das sind Problemländer, in denen Menschen jede Perspektive genommen wird.
Fliehen die Menschen nur von dort?
Nicht alle Flüchtlinge kommen von dort. Aber die meisten Menschen wechseln nicht von einem 6000-Dollar-Land in ein 40 000-Dollar-Land. Sondern sie fliehen aus Gesellschaften, in denen die Existenzgrundlagen für sie und ihre Kinder in Gefahr sind. Das hat vor allem mit Krieg und Gewalt zu tun. Entwicklungspolitik kann die Dinge zum Besseren ändern, aber sie kann nicht alles lösen. Und in Ländern wie Somalia oder im Kongo können wir von außen keine Entwicklungsfeuerwerke entfachen, sondern nur dazu beitragen, humanitäre Krisen zu reduzieren, Reform- und Friedensakteure zu stärken oder die Finanzströme von Warlords zu stoppen.

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