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Tagesanbruch: Europa mauert sich ein, 100 Tage große Krisenkoalition, schlapper Thomas Müller

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Kanzlerin Merkel lädt zum EU-Gipfel, um in Europa ein rigides Asylsystem zu errichten: Kontrollen, Strafen, Rücknahme von Flüchtlingen. Das mag eine Zeitlang Flüchtlinge fernhalten.
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:
Die Bundesrepublik Deutschland hat derzeit vier Regierungschefs. Eine Kanzlerin und drei Nebenkanzler. Sie heißen Seehofer, Dobrindt, Söder. Die drei mögen einander nicht besonders, aber ein gemeinsames Ziel eint sie: Der Kanzlerin zu schaden – koste es, was es wolle. Der Feind meiner Feindin ist mein Freund. Aus kalter Angst vor der AfD und einem Debakel bei der Bayernwahl feuern die drei aus allen Rohren gegen das Feindbild der AfD, das Merkel heißt, in der Hoffnung, so die AfD vom Stammtisch zu verdrängen. Gestern war es die Asylpolitik, heute ist es der Eurozonenplan, den Merkel mit Macron vorgestellt hat.
“ Wir können jetzt nicht zusätzliche Schattenhaushalte auf den Weg bringen oder versuchen, die Stabilität der Währung aufzuweichen“, sagt Söder, und das ist inhaltlich so schief, wie es sprachlich klingt. Ohne die Stabilisierung der Eurozone, an der ganze Flure von Beamten sowie die Staats- und Regierungschefs seit Jahren arbeiten, gibt es für die Währungsunion keine Zukunft. Die Stärkung, nicht die Schwächung des Euros ist ihr Kern. Aber darum scheint es dem bayerischen Ministerpräsidenten, der um alles in der Welt bayerischer Ministerpräsident bleiben will, nicht zu gehen.
Gemeinsam mit den anderen beiden Nebenkanzlern treibt er die Kanzlerin vor sich her, und Merkel lässt sich treiben. Vordergründig bleibt sie ruhig, aber in kleinen, scheinbar unbeobachteten Momenten ist ihr die immense Anspannung anzusehen. Ein Verziehen der Mundwinkel, die Augen einen Tick zu lang geschlossen, der Gang ein wenig gebückter als sonst. Der Kampf mit den Nebenkanzlern erfordert alle Kraft, aber sie hat ihn angenommen. Deshalb hat sie EU-Kommissionschef Juncker gebeten, am Sonntag zehn europäische Staaten zum außerplanmäßigen Mini-Gipfel nach Brüssel einzuladen. Dort soll es ausschließlich um die Asylpolitik gehen. Wenn schon keine große Lösung mit allen 28 EU-Staaten möglich ist, will Merkel wenigstens eine kleine Lösung schmieden, die ihrem Versprechen multilateraler Zusammenarbeit gerecht wird. Und sie ihr Gesicht wahren lässt. Italiens neue Regierung sträubt sich zwar, aber noch sind ja drei Tage Zeit.
Und das ist der Plan: Die Weiterreise von Asylsuchenden zwischen EU-Staaten soll verhindert werden. „Wir werden einen flexiblen gemeinsamen Rücknahmemechanismus nahe an den Binnengrenzen einrichten“, heißt es im Entwurf der Gipfel-Erklärung, aus der die “Süddeutsche Zeitung“ zitiert. An Bahnhöfen, Busbahnhöfen und Flughäfen sollen demnach Kontrollen stattfinden. Flüchtlinge sollen bestraft werden, wenn sie nicht im Land ihrer ersten Registrierung bleiben. EU-Polizeizentren sollen gegen Schleuserbanden vorgehen; aus der Grenzschutzagentur Frontex wird eine EU-Grenzpolizei und aus dem Asylbüro EASO eine echte EU-Asylbehörde.
Kommt alles so, wird die EU ihr Antlitz verändern. Europa mauert sich ein. Das mag eine Zeitlang Flüchtlinge fernhalten. Dauerhaft funktionieren wird das Bollwerk angesichts von Bevölkerungswachstum, Kriegen und Umweltzerstörung durch den Klimawandel in Afrika und im Nahen Osten kaum. Solange Europa keine nachhaltige Politik für diese krisengeplagten Weltregionen entwickelt, werden auch die höchsten Mauern nicht helfen.
Wie denn so eine Politik aussehen und welche Rolle die Entwicklungshilfe dabei spielen kann, habe ich den Chef der Welthungerhilfe gefragt. Den eindrucksvollen Text von Till Wahnbaeck lesen Sie heute Nachmittag auf t-online.de.
Und wenn Sie jetzt wirklich noch mehr über das Asylthema wissen wollen, empfehle ich Ihnen noch diese vier Beiträge:
Mein Kollege Daniel Schreckenberg erklärt in unserem Format “Schnell erklärt“, wie Merkels Flüchtlingspakt funktionieren soll.

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