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Muss so viel gesagt werden

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Mischung aus Multimedia-Spektakel, Polit-Revue und Rockkonzert: Der Auftritt von U2 zum Auftakt ihrer Europa-Tour in der Berliner Mercedes-Benz-Arena.
In der Regel werden die Auftritte großer Rockbands in Berlin oder anderen großen Städten mit Plakaten angekündigt, flankierend präsentiert von einem Radiosender, der noch letzte Karten verlost und den einen oder anderen Song spielt. Kommen die Rolling Stones, gibt es auch Gossip, da wird schon mal in Tegel auf den Stones-Privatjet gewartet, im Adlon bis zum Eintreffen der Band Wache gehalten, Menü-Folgen in Erfahrung gebracht und dann darüber berichtet.
Im Fall von U2 jedoch verhält sich alles ganz anders, nämlich wirklich staatstragend, gewichtig, sendungbewusst, weit über den Pop hinausgehend. U2 präsentieren sich am liebsten selbst, insbesondere ihr Mastermind Bono. Der traf sich nicht nur schon Tage vor dem ersten von zwei Berliner Konzerten in der Mercedes-Benz-Arena mit der Bundeskanzlerin und gab dieser gute Worte mit auf ihre Staatsbesuche in Ghana, Nigeria und dem Senegal, sondern schrieb überdies einen Essay in der „FAZ“. Darin brachte er seinen Stolz zum Ausdruck, ein Europäer zu sein, brach er eine Lanze für das vereinigte Europa, sein unbedingtes Weiterbestehen, und er kündigte auch an, auf dem Konzert in Berlin eine große, leuchtend blaue EU-Flagge zu schwenken. Als „eine unserer provokativeren Ideen“ beschrieb Bono dieses Vorhaben ironisch, um danach treffend zu erklären: „Europa ist dieser Tage schwer zu vermitteln in Europa, obwohl es in der Geschichte der Menschheit nie eine bessere Zeit oder einen besseren Ort gegeben hat, um auf die Welt zu kommen, als in Europa während der vergangenen 50 Jahre.“
Gut und richtig gesagt – und getan. Obwohl es am Freitagabend in der großen Arena am Ostbahnhof schon sehr lange dauert. Erst kurz vorm Zugabenblock wird eine EU-Flagge auf die Leinwand projiziert und eine andere hinter den Musikern aufgezogen, und schließlich laufen zu dem schönen Uralt-Song „New Year’s Day“ die Farben jedes europäischen Staates einschließlich Malta über die beiden Videowände inmitten der Halle.
Doch hat dieses späte Flaggezeigen natürlich seinen guten Grund. Denn Bono und U2 müssen noch so viele andere Sachen sagen, so viele andere Botschaften transportieren. Der Einsatz für ein gemeinsames Europa ist da nur einer von vielen Programmpunkten. Schon vor der Show flimmern auf dem Bühnen- und Multimediagerüst abwechselnd Animationen mit Sprüchen wie „Free Speech“, „Give Peace A Chance“; „Refugees Welcome“ oder „Nowhere on earth do woman have many opportunities as men“. Ob da Noel Gallaghers Song „Beautiful World“, der als eine Art Prolog des Konzerts vom Band kommt, schon eine Beschwörung sein soll? Gar das Leitmotiv des Abends, gerade weil so viel anderes verhandelt werden muss? Als schließlich Bono, The Edge, der Bassist Adam Clayton und der Schlagzeuger Larry Mullen dieses Gerüst zwischen den beiden herkömmlichen Bühnen im vorderen und hinteren Bereich der Halle betreten, um das erste Stück zu spielen, „Blackout“ vom neuen Album „Songs of Experience“, gibt es erstmal eine kleine Geschichtsstunde, eine europäische, versteht sich: mit Bildern kriegszerstörter Städte der frühen und mittleren vierziger Jahre, die später mit aktuelleren fortgesetzt und vermengt werden, mit Helmut Kohl, Wladimir Putin oder Donald Trump.

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