In keinem europäischen Land gibt es so viele Roma wie in Bulgarien. Sie leiden besonders unter der Pandemie. Die Gesundheitsexpertin Diliana Dilkova beobachtet, wie Kinderehen und Diskriminierung wieder zunehmen.
Ganze Stadtteile haben keinen Zugang zu frischem Wasser, Kinderehen nehmen zu, Verschwörungsgeschichten kursieren: Die Lage der Roma, der größten ethnischen Minderheit Europas, ist schwierig – besonders in Bulgarien, besonders in der Pandemie. Das ärmste EU-Land hat Schätzungen zufolge die größte Roma-Population, und viele leben bis heute ohne Warmwasser oder Zugang zum Gesundheitssystem. In der Krise wuchsen in vielen Ländern zudem die Vorurteile gegen Roma; fehlende Arbeitsmöglichkeiten sowie mangelnde Bildung und Gesundheitsversorgung brachten viele von ihnen in zusätzliche Schwierigkeiten.»Wir drohen eine Generation zu verlieren«, warnt die Gesundheitsexpertin Diliana Dilkova. Sie beschäftigt sich seit 15 Jahren mit der Situation von Roma, bildet sogenannte Gesundheitsmediatoren aus, die zwischen offiziellen Stellen und Angehörigen von Minderheiten wie den Roma vermitteln sollen. In der Pandemie eine besonders wichtige, aber auch schwierige Aufgabe. Die meisten Mediatorinnen und Mediatoren gehören selbst den Gemeinschaften an, um die sich kümmern. SPIEGEL: Frau Dilkova, Sie und Ihr Team haben vor einigen Jahren dabei geholfen, innerhalb von zwei Monaten 180.000 Roma gegen Masern impfen zu lassen. Helfen Ihnen diese Erfahrungen jetzt in der Pandemie? Diliana Dilkova: Leider nein. Wir kommen zurzeit kaum an die Menschen heran, das bulgarische Impfprogramm läuft insgesamt nur sehr schleppend. Für die meisten Roma ist eine Corona-Impfung bislang in weiter Ferne. SPIEGEL: Warum sind Roma in der Pandemie besonders betroffen? Dilkova: Die meisten Familien leben eng beisammen, oft teilen sich mehrere Personen ein Zimmer. Sie sind häufiger chronisch krank, die Skepsis gegenüber Behörden ist groß. Wie viele arme Menschen in Bulgarien haben etwa 90 Prozent der Roma, die wir betreuen, nur informelle Jobs oder arbeiten als Tagelöhner. Sie verloren zu Beginn der Pandemie als Erste ihre Arbeit. Durch stigmatisierende Berichte wurde die Situation weiter verschärft. SPIEGEL: Inwiefern? Dilkova: Es gab Gerüchte, Arbeitsmigranten hätten das Virus eingeschleppt und Roma seien besonders oft infiziert. Dafür gibt es keine verlässlichen Quellen. Dennoch wurden etliche Romasiedlungen von der Polizei abgeriegelt. Die Menschen durften ihre Viertel nicht mehr verlassen, kamen ohne gültige Arbeitsverträge auch nicht raus, um zu arbeiten. Und Ärzte weigerten sich die Roma zu besuchen. In manchen Vierteln gibt es bis heute kein Wassernetz, weil die Siedlungen informell am Stadtrand entstanden sind. Oft konnten die Menschen hier während der Ausgangssperre nicht einmal mehr zur nächsten Wasserstelle.