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Russland: Bürgerrechtsorganisation Memorial wird verboten

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Die älteste Bürgerrechtsorganisation des Landes befasst sich mit der Aufarbeitung der sowjetischen Geschichte und gibt den Opfern eine Stimme. Jetzt wird sie faktisch verboten – unter einem Vorwand, weil ihre Gesinnung den heutigen Mächtigen widerstrebt.
Die älteste Bürgerrechtsorganisation des Landes befasst sich mit der Aufarbeitung der sowjetischen Geschichte und gibt den Opfern eine Stimme. Jetzt wird sie faktisch verboten – unter einem Vorwand, weil ihre Gesinnung den heutigen Mächtigen widerstrebt. Polizisten nehmen vor dem Obersten Gericht Russlands in Moskau eine Person fest, die gegen die Auflösung von Memorial protestiert. Russlands Oberstes Gericht hat am Dienstag dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, des Justizministeriums und der Zensurbehörde Roskomnadsor stattgegeben und die Auflösung von Russlands ältester und bedeutendster Bürgerrechtsorganisation Memorial International verfügt. In erster Linie wurde Memorial vorgeworfen, in systematischer Weise die Gesetzgebung über sogenannte ausländische Agenten, also aus dem Ausland finanzierte Nichtregierungsorganisationen und Medien, verletzt und damit gegen in der Verfassung verbriefte Rechte verstossen zu haben. Die Rechtsvertreter kündigten Berufung an, unter anderem beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Gerichtsentscheidung ist ein schwerer Schlag für die gesamte russische Zivilgesellschaft. Zynische Argumente Die Argumentation der Vertreter von Memorial und ihrer juristischen Verteidiger, es sei unverhältnismässig, eine Organisation mit so viel gesellschaftlicher Ausstrahlung, historischer Bedeutung und enormen Verdiensten nur wegen angeblicher technischer Verfehlungen zu schliessen, prallte an der Richterin Alla Nasarowa ab. Den Klägern ging es ohnehin stets um mehr. Das wurde im Verlaufe des auf mehrere Tage verteilten Verfahrens und zum Schluss in den Plädoyers der Generalstaatsanwaltschaft immer deutlicher. Memorial passt nicht mehr in eine staatliche Erinnerungspolitik, die allein den Glanz der Vergangenheit hervorhebt und die dunklen Seiten der sowjetischen Geschichte als bedauerliche, aber zu verschmerzende Abweichung relativiert. «Warum sollen wir, die Nachkommen der Sieger, uns schämen und Reue zeigen, anstatt stolz zu sein auf die ruhmreiche Vergangenheit?», fragte der Staatsanwalt Alexei Schafjarow in den Schlussplädoyers. Er nahm sogar eine Formulierung auf, die zuvor vom Verband «Veteranen Russlands» gegen Memorial verwendet worden war: Die Organisation zeichne ein lügenhaftes Bild von der Sowjetunion als Terrorstaat.

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