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Abschied vom Bundespräsidenten: Warum Joachim Gauck zu früh geht

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Der scheidende Bundespräsident stand für einen positiven Verfassungspatriotismus. Gerade im Streit mit der Türkei hätten die Deutschen noch von ihm lernen können. Ein Kommentar.
Samstag ist Joachim Gaucks letzter Tag als Bundespräsident. Es ist ein schlechter Zeitpunkt zu gehen. Er wird fehlen. Die Debatte um Auftrittsverbote für türkische Politiker in Deutschland zeigt so klar wie selten: Die Deutschen sind von echtem Verfassungspatriotismus, von einem Verfassungspatriotismus, wie sie ihn von Joachim Gauck hätten lernen können, so weit entfernt wie eh und je.
Der Bundespräsident ist so etwas wie der Wächter des deutschen Nationalnarrativs. Er kann, wenn er gut ist, den Deutschen eine Erzählung schenken, kann ihnen sagen, wer sie sind, und wer sie sein könnten. Joachim Gauck hat es verstanden, aus der aufgewühlten deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts eine optimistische Identitätserzählung für Deutschland zu formen – aus der Geschichte der Deutschen eine Geschichte für die Deutschen zu machen. Er hat sie glaubhaft erzählt, denn er hat sie gelebt.
Und doch scheinen Gaucks Reden nicht so recht verfangen zu haben. Die Deutschen hadern wie eh und je damit, ein gesundes Verhältnis zu ihrem Staat zu haben.
Joachim Gauck, geboren 1940, Sohn eines Vaters, der mehrere Jahre in einem sowjetischen Gulag verbrachte, ist einer der wenigen im öffentlichen Leben in Deutschland, der noch weiß, was der Verlust von Freiheit bedeutet – und wie sich die Euphorie anfühlt, sie zu gewinnen. Ostdeutsche sind seit jeher im öffentlichen Leben unterrepräsentiert. Und die Zeitzeugen des Nationalsozialismus sterben. An Gauck aber spürt man die Wucht der deutschen Geschichte. An ihm ist eine Leidenschaft für die Freiheit, die viele Deutsche vermissen lassen.
In einem Interview mit der „Zeit“ hat Gauck einmal gesagt: „Freiheit, normal geworden, scheint ganz banal.“ In Deutschland ist die Freiheit normal geworden. Und aus dieser saturierten Verachtung des Gegenwartsglücks entsteht Nörgelei. Demokratie? Zu langsam, zu aufwendig, zu ineffizient.

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