Der SPD-Kanzlerkandidat will Teile der Agenda 2010 zurückdrehen. Das mag vielen in der Partei gefallen – für richtig halten es viele Experten nicht. Im Gegenteil: Das Reformwerk von 2003 stützt bis heute die deutsche Wirtschaft.
Der SPD-Hoffnungsträger steht vor einem dreistöckigen Baugerüst. Zu sehen sind hinter ihm noch eine Schubkarre, Schutzhelme, ein Betonmischer. Diese Kulisse für Martin Schulz in der Bielefelder Stadthalle spricht eine klare Sprache: Hier geht es nicht allein um den „kleinen Mann“, es geht um die gesamte „arbeitende Mitte“, die Mitte, die Gesellschaft durch ihre tägliche harte Leistung am Laufen hält. Diese Mitte will der SPD-Kanzlerkandidat ansprechen, ihre Ängste will er aufgreifen.
Ausgeguckt hat sich Schulz dafür die Reformagenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder. Auch fast 15 Jahre später ist sie der Kulminationspunkt, an dem sich die SPD abarbeitet. Aber Schulz, der Neue, kann weitere Korrekturen an dieser von den eigenen Leuten 2003 erfundenen, ungeliebten Agenda einfach so verkünden. Viel besser jedenfalls als sein Vorgänger Sigmar Gabriel, dem stets der Vorwurf zuteil wurde, er stehe nicht zu dem, was sich die SPD selbst ausgedacht hatte.
Was Schulz genau vorhat, bleibt noch im Ungefähren, allerdings hat er ein paar erste Dinge nun in Bielefeld verraten: Zum Beispiel die Abschaffung von befristeten Arbeitsverträgen, wenn sie ohne Sachgrund vom Arbeitgeber befristet werden. Auch will die SPD die Bezugszeit für Ältere beim regulären Arbeitslosengeld verlängern, mehr für die Qualifizierung tun und die Mitbestimmung von Arbeitnehmervertretern in Unternehmen weiter stärken.
Befristete Arbeitsverträge Tatsächlich leiden viele Jüngere darunter, dass sie zu Beginn ihrer Karriere nur befristete Arbeitsverträge erhalten. Allerdings sind es nicht knapp 40 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse in der Altersgruppe zwischen 25 und 35 Jahren, die befristet sind, wie Schulz fälschlicherweise der „Bild“-Zeitung gesagt. De facto erhalten nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes nur knapp 18 Prozent dieser jüngeren Arbeitnehmer einen befristeten Arbeitsvertrag. Das ist für die Betroffenen oft ein Ärgernis: Ein befristeter Vertrag schafft Unsicherheit, erschwert die Familiengründung und verhindert den Baukredit.
Allerdings stellt die sachgrundlose Befristung für Jüngere oft das geringere Problem gegenüber der begründeten Befristung dar. Ohne Sachgrund dürfen Arbeitgeber nur für maximal zwei Jahre befristet neu einstellen, danach endet das Arbeitsverhältnis – oder es wird eine Entfristung angeboten.