Start Deutschland Deutschland — in German Zum Tag der Arbeit am 1. Mai

Zum Tag der Arbeit am 1. Mai

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Die Faulheit der Menschen sei ein Laster, lautet das Verdikt der Moralisten. Doch darin kann auch eine große Kraft liegen. Ein Hoch auf Ruhe, Wohlstand und Erholung.
Der große französische Schriftsteller Eugène Ionesco beginnt seinen Roman „Der Einzelgänger“ mit überraschenden Worten: „Mit 35 ist es Zeit, sich aus dem Leben zurückziehen.“ Die üppige Erbschaft eines reichen Onkels aus Amerika verschafft dem Ich-Erzähler die Möglichkeit, seine stumpfsinnige Büroarbeit aufzugeben. Er ist frei und kann von sicherer Warte aus die Absurdität und die Nichtigkeit der Arbeitswelt sezieren.
Arbeit gibt den Menschen einen höheren Sinn? Ausgerechnet Paul Lafargue, der Schwiegersohn und enge Freund von Karl Marx, erhebt das „Recht auf Faulheit“ zur Maxime, nicht das „Recht auf Arbeit“. Er vergleicht das harte Leben der Arbeiterklasse mit dem angeblichen Nichtstun der Rentiers, Gebildeten und Salonlöwen. Anders als Marxisten und Sozialisten kommt er zum Schluss, dass auch die Arbeiterklasse in erster Linie genießen solle. Nicht Arbeit adele den Menschen, die Muße sei es, sagt der Marx-Bewunderer Lafargue.
Die Erfüllung des Lebens durch harte Arbeit? Absurd!
Selbst umtriebige Menschen wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bekennen, dass sie nichts lieber täten, als untätig auf der Terrasse zu sitzen und ein gutes Buch zu lesen. Sympathisch. Stress, Termindruck, harte körperliche und geistige Arbeit, Umherreisen, höchste Konzentration, unerbittliche Auseinandersetzungen, fast unerfüllbare Anforderungen, Veränderungsdruck und Hochgeschwindigkeits-Kapitalismus – das alles will weder der moderne Arbeiter noch der leitende Angestellte. Vollends absurd mutet es an, darin die Erfüllung des Lebens zu sehen.
Warum arbeiten wir 49 Wochen des Jahres wie blöde, um uns dann an dreien im Jahr auszuruhen, am Strand zu liegen oder in den Bergen zu wandern? Und dafür sogar stundenlange Staus, überfüllte Hotels und Restaurants mit überhöhten Preisen hinzunehmen?
Schon Georg Büchner, der deutsche Dichter und Freidenker im frühen 19. Jahrhundert, hat gewusst, dass Langeweile produktiv ist, wie er in der Komödie „Leonce und Lena“ eindrucksvoll vorexerzierte. „Ich habe die wunderbare Arbeit, nichts zu tun“, erklärt Leonce seiner Rosetta. „So liebst du mich aus Langeweile?“, fragt die besorgt zurück. „Nein, ich habe Langweile, weil ich dich liebe. Aber ich liebe meine Langeweile wie dich“, entgegnet ihr entwaffnend der Königssohn.
„Wie jeder vernünftige Mensch bin ich von Natur aus faul“
Die Sehnsucht des Menschen nach Ruhe, Nichtstun, Entspannung durchzieht seine Geschichte wie die der großen Taten und Entbehrungen.

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