Nach den Ausschreitungen der vergangenen Tage ist es in der Nacht zu Mittwoch in Chemnitz ruhig geblieben. Es habe keine größeren Vorkommnisse gegeben, sagte ein Polizeisprecher. Die Entwicklungen im Liveblog.
Nach dem gewaltsamen Tod eines 35-jährigen Deutschen beim Stadtfest und Attacken von Rechtsextremen auf Ausländer steht Chemnitz weiter im bundesweiten Fokus. Wie sich die Lage am Mittwoch entwickelte, lesen Sie in unserem Liveblog.
Der stellvertretende sächsische Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) hat die mutmaßliche Veröffentlichung des Haftbefehls gegen einen der Tatverdächtigen von Chemnitz als Skandal bezeichnet. Dulig sagte am Mittwoch dem MDR: „Da haben wir ein dickeres Problem aufzuarbeiten. Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang.“ Ein Foto des mutmaßlichen Haftbefehls war zuvor in sozialen Netzwerken aufgetaucht, unter anderem auf der Facebook-Seite des Dresdner „Pegida“-Mitbegründers Lutz Bachmann. Die Echtheit konnte Berichten zufolge zunächst nicht bestätigt werden.
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat die Polizei seines Bundeslandes gegen Kritik wegen des Einsatzes in Chemnitz verteidigt. „Die Polizei hat einen super Job gemacht“, sagte er der „Bild“-Zeitung (Mittwoch). „Die vielen Demonstranten unterschiedlicher Gruppen wurden auseinandergehalten. Straftaten wurden dokumentiert und werden jetzt rechtlich verfolgt.“
Mit Blick auf die Tötung eines Chemnitzers und darauffolgende Ausschreitungen in der Chemnitzer Innenstadt betonte Kretschmer, man werde es nicht zulassen, dass Opfer instrumentalisiert würden von Rechtsextremen. „Wir hatten auf der einen Seite furchtbare Bilder, wo Ausländer fliehen mussten vor Demonstranten“, sagte er. „Und auf der anderen Seite diese schreckliche Straftat, die zu größter Bestürzung geführt hat.“ Die Menschen bräuchten Raum für ihre Betroffenheit und Trauer.
Die rechtsradikale Bürgerbewegung „Pro Chemnitz“ hat den Haftbefehl von einem der Täter aus Chemnitz unzensiert auf Facebook gepostet. Mittlerweile musste die Gruppierung das Schriftstück wieder löschen. Als Reaktion darauf haben sie neue Demonstrationen für kommenden Donnerstag angesetzt.
Die Parteivorsitzende der Linken, die Dresdner Bundestagsabgeordnete Katja Kipping, hat empört auf die Ankündigung der AfD reagiert, am Sonnabend durch Chemnitz ziehen zu wollen. Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sagte sie: „Hier zeigt sich, dass die AfD der parlamentarische Arm derjenigen ist, die in Chemnitz auf Menschenjagd gegangen sind.“ AfD-Rechtsausleger Björn Höcke, Landesvorsitzender von Thüringen, sowie die Vorsitzenden der anderen ostdeutschen Landesverbände werden am Sonnabend einen „Trauermarsch“ in Chemnitz anführen.
Mit einem großen Aufgebot hat die Polizei in Köln rechte und linke Demonstranten auseinandergehalten, die nach den Ausschreitungen in Chemnitz auf die Straße gegangen waren.
Die von der Polizei dem rechten Spektrum zugeordnete Organisation „Begleitschutz Köln“ hatte zu einer Kundgebung wegen der tödlichen Messerstiche in Chemnitz aufgerufen. Den rund 100 Teilnehmern stand am Dienstag ein Vielfaches an Gegendemonstranten gegenüber, die dem Aufruf von „Köln gegen Rechts“, „Antifa“ und „Kein Veedel für Rassismus“ gefolgt waren.
Die Polizei der Millionenstadt hatte im Vorfeld vor möglichen „unfriedlichen Aktionen“ von Kundgebungsteilnehmern gewarnt und Verstärkung aus anderen Städten angefordert. Bis auf kleinere Reibereien sei aber alles friedlich geblieben, sagte ein Polizeisprecher.
Um ein Zeichen gegen Fremdenhass zu setzen, finden an den kommenden vier Montagen Konzerte in der Chemnitzer Innenstadt statt“ Freie Presse “ berichtet.
Für den kommenden Montag haben sich die deutschen Hip-Hop-Größen Casper und Marteria angekündigt. Das Ganze findet unter der Schirmherrschaft von Kraftklub statt.
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hat davor gewarnt, die Attacken von Rechtsextremen in Chemnitz kleinzureden. „Keine Beschwichtigungen, keine Relativierungen“, mahnte Pistorius am Dienstag auf seinem Facebook-Account:
Die Bilder der vergangenen beiden Tage aus Chemnitz sind empörend und senden ein verzerrtes und hässliches Bild von…
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey will am Freitag Chemnitz besuchen. Sie wolle dort mit der Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) sprechen. „Gerade in Ostdeutschland ist es wichtig, dass wir die Menschen stärken, die Haltung und Rückgrat beweisen“, betonte Giffey.
„Die Ereignisse in Chemnitz haben mich erschüttert. Ein schlimmes Verbrechen wird von Rechtsradikalen und rechten Hooligans instrumentalisiert, um Selbstjustiz zu üben und Jagd auf Menschen zu machen“, erklärte Giffey weiter. Wenn Rechte versuchten, „den öffentlichen Raum zu kapern und staatliche Institutionen in Frage stellen, dürfen wir das nicht hinnehmen. Im Gegenteil, wir müssen Gesicht zeigen“.
Der Besuch zweier AfD-Landtagsabgeordneter auf den Demonstrationen am Montag in Chemnitz hat für Kritik gesorgt. SPD-Landeschefin Leni Breymaier forderte, dass die Landtagsabgeordneten der AfD vom Verfassungsschutz unter Beobachtung gestellt werden.
„Die AfD und ihre Abgeordneten sind eine Gefahr für unseren Rechtsstaat und unsere Demokratie“, sagte Breymaier. „Ein solcher Krawalltourismus der beiden AfD-Abgeordneten ist völlig inakzeptabel“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion, Reinhold Gall.
Die Mahnwache in Dresden von Bürgern aus dem Dunstkreis der islamfeindlichen Pegida-Bewegung hat zunächst nur wenig Zulauf erhalten. Eine Stunde nach Beginn der Aktion waren nur etwa 50 Teilnehmer gekommen. Gut 100 Meter entfernt versammelten sich etwa dreimal so viele Gegendemonstranten. Da es auf beiden Seiten anfangs weder Sprechchöre noch Redebeiträge gab, wirkte das Geschehen sehr statisch.
Später ergriffen bei der Mahnwache mehrere Redner das Wort und geißelten die Asylpolitik der Bundesregierung. Auf einem Banner wurde Chemnitz in einer Reihe mit Berlin, Paris und London genannt – Städte, in denen Attentate stattgefunden hatten. Die Mahnwache war unter dem Titel „Innere Sicherheit – schützt unsere Familien!“ von einer Person angemeldet worden.
Die Ausschreitungen in Chemnitz im Liveticker
Ist Chemnitz eine rechte Hochburg?
Das Chemnitz-Lage in Bildern
Rechter Aufmarsch: Die AfD und der Geist aus der Flasche
„Mich verwundert die Pogrom-Stimmung in Chemnitz nicht“
Bundesregierung verurteilt „Hetzjagd“ in Chemnitz
Chemnitz: Der kommende Aufstand
So stark ist die rechte Szene in Sachsen
Während zahlreiche Menschen gegen Rechts auf die Straße gehen, hat sich ein Hamburger Künstler eine Alternativ überlegt und malt gegen Spenden für den Sächsischen Flüchtlingsrat Strichmännchen, die sich an den Händen halten. Und das bereits recht erfolgreich:
Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) hat das Vorgehen von Politik und Polizei in Sachsen scharf kritisiert. „Es ist die besondere Aufgabe der politischen Führung, die Polizei für besondere Lagen zu sensibilisieren. Am ersten Tag kann man vielleicht noch überrascht werden – am zweiten Tag nicht mehr“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Laut Caffier haben in Chemnitz die Verantwortlichen die politische Brisanz der Lage offensichtlich völlig falsch eingeschätzt. „Als zuständiger Innenminister darf man nicht die Augen vor der Realität verschließen. Man muss den Rechtsextremismus genauso bekämpfen wie jede andere Form von Extremismus auch. Die Staatsgewalt darf nicht durch irgendeinen Mob ausgeübt werden. Die Polizei muss immer die Rückendeckung des Ministers spüren“, erklärte der Sprecher der Unionsinnenminister. „Allein bei Risikofußballspielen sind bis zu 1000 Polizisten im Einsatz.“
CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer ruft die Zivilgesellschaft dazu auf, sich in aller Deutlichkeit von rechter Gewalt abzugrenzen. „Rechtsradikale und Neonazis verbreiten Lügen und rufen zur Gewalt auf. Die AfD zeigt mit der Unterstützung für Gewalttäter wieder einmal, dass sie rechtsradikale Elemente in ihren Reihen duldet. Die breite Mitte der Gesellschaft ist aufgerufen, sich dem entgegen zu stellen, nicht nur in Sachsen, sondern überall in Deutschland.“
Kramp-Karrenbauer sagte, sie wende sich „klar gegen Aufrufe zur Gewalt, Selbstjustiz und blanken Hass“, der Rechtsstaat müsse sich durchsetzen. Unabhängig davon forderte sie, das Tötungsverbrechen und seine Umstände müssten aufgeklärt und die Täter bestraft werden.
Nach Informationen der “ Dresdener Neueste Nachrichten “ haben sich bislang weniger als 50 Personen im Rahmen der Demonstration „Innere Sicherheit – schützt unsere Familien“ vor dem Landtag in Dresden versammelt. Die Situation sei sehr entspannt, wie die Kollegen vor Ort mitteilen.
Rund 150 Gegendemonstranten sind unter dem Motto „Kein Platz für rechte Hetze“ an der Devrientstraße zusammengekommen, darunter der Linkenvorsitzende Rico Gebhardt.
Wie erste Eindrücke auf Twitter zeigen, versammeln sich Anhänger der rechten Szenen allmählich zur Kundgebung vor dem Landtag in Dresden.
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Deutschland — in German Liveblog: „Veröffentlichung des Haftbefehls ist ungeheuerlicher Vorgang“