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Ein anstrengender Besuch

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„Für Erdogan müssen alle stramm stehen.“ So sagt es ein Polizist. Berlin begegnet dem türkischen Präsidenten mit politischen Ehren – und mit Protest.
Vorn, fast an der Spitze des großen Demonstrationszuges, der das Motto „ Erdogan not welcome “ hat und am Freitagnachmittag vom Potsdamer Platz durch die Berliner Innenstadt zieht, läuft Nujiyan Günay. Seit Wochen hat sie auf diesen Tag hingearbeitet, hat E-Mails geschrieben, Papiere, Flyer, hat sich durch die Stadt telefoniert. Günay sagt: „Als Tochter eines Pfarrers sollte Angela Merkel an die Werte denken, die Deutschland zu verteidigen einst angekündigt hat.“
Und an die deutschen Waffen, mit denen die türkische Armee Kurden in der Türkei angreift, in Syrien und Irak. An die möglichen Wirtschaftshilfen für die Klientelpolitik des türkischen Präsidenten, an die Präsenz des türkischen Geheimdienstes in Deutschland. Nujiyan Günay ist Jesidin, Angehörige einer religiösen Minderheit also, die von den meisten Milizen und Machthabern des Nahen Ostens verfolgt wird. Sie ist 38 Jahre alt und als Flüchtlingskind nach Deutschland gekommen. Mit den Eltern verließ sie ihr Heimatdorf in der südtürkischen Provinz Mardin, die türkische Armee liefert sich dort bis heute heftige Kämpfe mit kurdischen Rebellen. Günay trägt eine Kette mit einem Pfau um den Hals, ein Gottessymbol der Jesiden. Sie will als Jesidin erkannt werden.
Der Mann, dem der Protestzug gilt, wird für die Öffentlichkeit zum ersten Mal an diesem Tag um 9.22 Uhr sichtbar. Recep Tayyip Erdogan, auf Staatsbesuch in Deutschland und nun auf dem Weg zum Bundespräsidenten, verlässt das Hotel Adlon am Pariser Platz durch das Hauptportal. Umringt von Leibwächtern – in der Entourage, die Erdogan durch Berlin begleitet, befindet sich nach Tagesspiegel-Informationen auch mindestens ein Sicherheitsmann, der im Mai 2017 in Washington an Attacken auf Demonstranten beteiligt gewesen sein soll – schreitet er zügig zum Wagen. Hinterm Absperrgitter rufen ein paar junge Männer laut „Reeeiiss“, ein Mal, zwei Mal, drei Mal, aber Reis schaut nicht rüber, winkt nicht.
Reis, das ist türkisch für Präsident, der Reis sei eine starke Persönlichkeit, sagt einer der Männer. Er stellt sich vor, Altan Sahin heiße er. Er sagt: Die deutschen Medien stellten Erdogan seit Jahren falsch dar. Wie könne ein dermaßen populärer, mehrfach gewählter Mann ein Diktator sein? Wie könne einer, der so viele syrische Kriegsflüchtlinge in sein Land aufgenommen habe und als einziger weiterhin Syriens Gewaltherrscher Assad die Stirn biete, wie könne so einer verteufelt werden? Sein Nebenmann, einen rot-weißen Schal mit Präsidenten-Porträts um den Hals, sagt: „Ich finde das komisch.“ Er lebe seit 20 Jahren in Deutschland – aber werde von Deutschen immer nur nach seiner Meinung gefragt, wenn es um Erdogan geht oder den Islam.
Um elf versammeln sich die ersten zum Protest auf dem Washingtonplatz, zwischen Hauptbahnhof und Spree. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ hat eine Kundgebung angemeldet. Verdi und Amnesty International sind da, Aktivisten haben Schilder mit den Konterfeis inhaftierter Journalisten gedruckt. 100 Medienschaffende sitzen derzeit in der Türkei in Haft, sagt ein Redner, „und nur deshalb, weil sie es gewagt haben, ihren Beruf auszuüben“. 200 Zeitungen und Onlineplattformen seien dicht gemacht worden, alle großen Medien auf Regierungslinie gezwungen. Die letzte große Insel des Widerstands, die Zeitung „Cumhuriyet“, hat vor drei Wochen endgültig ihre Unabhängigkeit verloren. Die türkischstämmige, in Deutschland arbeitende Journalistin Canan Topcu kritisiert „das Brimborium“, mit dem Erdogan in Deutschland empfangen werde. „Ein einfaches Arbeitsgespräch hätte ausgereicht.“ Ihr Kollege Dursun Celik sagt, es sei schlimm zu sehen, wie wenig deutsch-türkische Journalisten in der Bundesrepublik sich trauten, kritisch über Erdogans Regime zu berichten. „Es ist leider ganz einfach: Die meisten haben Angst, dass sie nicht mehr in die Türkei einreisen können, wenn sie einmal negativ auffallen. Sie sind es gewohnt, im Sommer in die Türkei zu reisen, das wollen sie nicht verlieren.“ Einerseits verstehe er das. Andererseits sei es fatal zu schweigen.
Die deutschen Gastgeber haben den türkischen Präsidenten mit den höchsten Ehren empfangen, die der deutsche Staat einem Gast überhaupt gewähren kann. Doch das kann am Freitag nicht verhindern, dass es beinahe zu einem Eklat kommt. In quasi letzter Minute droht Erdogan offenbar, einen gemeinsamen Auftritt mit der Kanzlerin vor der Presse abzusagen, falls der türkische Journalist – und einstige „Cumhuriyet“-Chefredakteur – Can Dündar dabei sein sollte.
Die Zeitung hatte 2015 einen Bericht über Munitionslieferungen aus der Türkei an Islamisten in Syrien veröffentlicht. Daraufhin wurde er wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen angeklagt und zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Mittlerweile wurde das Urteil aufgehoben, Dündar droht nun eine weitaus längere Haftstrafe, weil ihm auch wegen Spionage der Prozess gemacht werden soll. Seit 2016 lebt er im Berliner Exil.
Für die Pressekonferenz mit Merkel und Erdogan hat er sich angemeldet und auch eine Akkreditierung erhalten. Zu Erdogans Drohung, die Veranstaltung im Fall seiner Teilnahme platzen zu lassen, sagt Dündar: „Das ist eine Haltung, die wir von Erdogan gewohnt sind.“ Am Ende entscheidet er sich jedoch, nicht an der Pressekonferenz teilzunehmen. „Ein Journalist muss berichten. Er will keine Nachricht sein“, erklärt Dündar.
Und noch etwas anderes bewegt ihn zum Verzicht: Würde Erdogan die Pressekonferenz seinetwegen absagen, müsste sich der türkische Präsident nicht den kritischen Fragen deutscher Journalisten stellen.

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