In den vergangenen Tagen prägten Demonstrationen das Bild von Chemnitz. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow spricht im Interview über die Ursache dieser Entwicklung, Lösungsaspekte und darüber, wieso Flüchtlinge nur die Projektionsfläche für viel tiefgründigere Probleme sind.
Herr Ramelow, ein Mob, der sich wie in Chemnitz aus dem Nichts zusammentut, um Ausländer zu jagen. Ist so etwas im Westen auch denkbar?
Solche Vorfälle hat es in der Vergangenheit immer wieder auch im Westen gegeben. Seit 2015 lässt sich deutschlandweit beobachten, dass Asylunterkünfte verstärkt angegriffen werden. Die These, dass allein Ostdeutschland ein Problem hat, blendet aus, dass wir in der Bundesrepublik insgesamt ein massives Potenzial von extremen Sichtweisen und – darin eingebettet – von Gewaltbereitschaft haben.
Merkels Politik der offenen Grenze soll das ausgelöst haben?
Nein. Da kommt wirklich viel mehr zusammen. Erst die Öffnung, dann die Schließung der Grenzen, die Überforderung unserer Behörden durch diese Zick-Zack-Politik und das Unvermögen der Regierenden, den Leuten das alles so zu erklären, dass sie es auch verstehen. Die Flüchtlinge wurden so zur Projektionsfläche für Probleme im sozialen Bereich, die es eigentlich schon vorher gab. Sie erfüllen somit die klassische Sündenbock-Funktion. Im Osten kommt noch das weit verbreitete generationsübergreifende Gefühl einer fortgesetzten Zurücksetzung vieler Menschen hinzu.
In Umfragen sagt die überwältigende Mehrheit der Ostdeutschen, ihnen persönlich würde es gut gehen.