Kurz nach dem Impfstart ist eine Debatte über Sonderrechte für Geimpfte entbrannt. Die Koalition erwägt ein Verbot solcher Privilegien. Im Interview erklärt der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel, weshalb er das für falsch hält.
Kurz nach dem Impfstart ist eine Debatte über Sonderrechte für Geimpfte entbrannt. Die Koalition erwägt ein Verbot solcher Privilegien. Im Interview erklärt der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel, weshalb er das für falsch hält. Seit Sonntag impft Deutschland gegen das Coronavirus. Herr Merkel, Union und SPD erwägen ein gesetzliches Verbot von Privilegien für Menschen mit Corona-Impfung. Der FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann hingegen sagt, wenn feststehe, dass «von einem Menschen weder für sich noch für andere eine Gefahr ausgeht, dann darf der Staat seine Freiheit nicht einschränken». Wer hat recht? Herr Buschmann. Der Staat darf in Grundrechte nur eingreifen, solange er einen legitimen Schutzzweck verfolgt. Menschen mit Corona-Impfung gefährden andere nicht mehr – sofern sie selbst nicht mehr ansteckend sind, was bekanntlich noch zu klären ist. Unter dieser Prämisse entfällt jedoch der epidemiologische Schutzzweck. Grundrechte sind keine Privilegien, sondern das Fundament unserer Rechtsordnung. Für ihre Wahrnehmung muss sich der Bürger nicht legitimieren; vielmehr muss der Staat sein Verbot begründen. Das gilt schon jetzt? Obwohl nicht alle einen Zugang zum Impfstoff haben? Nehmen wir das Beispiel des Betreibers eines Fitnessstudios. Verbietet man ihm die Öffnung nur für Geimpfte, dann ist das ein doppelter Eingriff: einerseits in die Grundrechte des Fitnessstudiobetreibers, andererseits in die Freiheitsrechte des Geimpften. Nun ist es ja nicht so, dass die Geimpften, die ins Studio gehen, den Ungeimpften die Plätze wegnähmen, dass also hier zugunsten der Geimpften unfair priorisiert würde. Vielmehr ist die Alternative, alle Studios ganz zu schliessen; und das geschieht ja derzeit auch. Aber nach der Impfung gibt es eben eine gefahrlose Möglichkeit des Studiobetriebs. Dann ist es nicht einzusehen, diese Möglichkeit nur deshalb, weil sie nicht jedem auf der Stelle verfügbar ist, allen zu verbieten. Das ist grundrechtswidrig und freiheitsfeindlich. Hätte ein solches Verbot überhaupt Bestand vor Gerichten? Vermutlich nicht. Ich denke, die Gerichte würden das, wenn es per Verordnung käme, reihenweise kassieren. Geimpft und damit für andere kein Ansteckungsrisiko mehr zu sein, ist im Kontext einer Pandemiebekämpfung, die nun mal Ansteckungen verhindern und nicht schiefe Solidaritätsappelle in zwangsrechtliche Verbote packen soll, ganz offensichtlich ein legitimer Grund, anders behandelt zu werden als «riskante» Ungeimpfte.