Die Gedenkkultur darf nicht in elitären Routinen erstarren. In Zeiten, da der Antisemitismus zunimmt, sind wir alle als Erinnernde gefordert. Ein Kommentar.
76 Jahre ist es her, dass die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau befreite. Nicht mehr lange, dann werden auch die letzten Zeugen des Zivilisationsbruchs verstummen. Je weiter sich der Holocaust historisch entfernt, desto mehr sind wir alle als Erinnernde gefragt – nicht nur am 27. Januar. Das Gedenken steht vor großen Herausforderungen. Da ist zum einen die zeitliche Distanz. Auch wenn die Nazizeit in den Erzählungen vieler Familien in Deutschland nach wie vor präsent ist, wird die Shoah besonders für die jüngeren Generationen zunehmend „normale Geschichte“. Wenn vier von zehn Schülern mit dem Begriff Auschwitz nichts anfangen können, wie eine Studie der Körber-Stiftung von 2017 ergab, haben Lehrkräfte und Eltern pädagogisch versagt. Die Shoah muss als etwas erinnert werden, das jede und jeden für immer betrifft. Als „Schwarzes Loch“ und negativer Referenzpunkt der menschlichen Zivilisation. Hierfür braucht es eine lebendige Erinnerungskultur. Zwei, drei Mal im Jahr ein paar mahnende Reden und hübsche Blumenkränze reichen nicht aus. Das Gedenken demokratisieren Wir müssen dafür sorgen, dass das Holocaust-Gedenken nicht in elitären Routinen erstarrt. So wichtig die gewachsenen Rituale sein mögen – die nicht selbstverständlich sind und gegen starke Widerstände erkämpft werden mussten –, braucht es zugleich erinnerungskulturelle Innovationen, die der gesellschaftlichen Vielfalt und den zeitlichen Umbrüchen Rechnung tragen.
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Deutschland — in German Das Erinnern an den Holocaust ist eine zivilisatorische Aufgabe