Der Charité-Immunologe Leif Erik Sander schlägt im Interview vor, die zweite Impfdosis zu verschieben. So könnten schneller mehr Menschen geschützt werden.
Herr Sander, von dem eh schon sehr knappen Gut Impfstoff gegen das Coronavirus werden Vorräte abgezwackt, damit die vorgeschriebene zweite Dosis binnen drei Wochen gegeben werden kann. Wieso muss der Impfstoff gegen das Coronavirus zwei Mal verabreicht werden? Das Prozedere beruht auf der Funktionsweise des menschlichen Immunsystems. Dieses besteht aus zwei Armen, dem angeborenen, das generell gegen körperfremde Stoffe vorgeht, und dem erworbenen Immunsystem, das im Laufe des Lebens immer neue Krankheitserreger kennenlernt und sich „einprägt“, mit welchen speziellen Antikörpern oder Zellen man sie am besten bekämpft. Um letzteres geht es bei den Impfungen. Nach der ersten Impfung werden einzelne neue Immunzellen gebildet, die den gespritzten Erreger oder seine Teile, also die Antigene, erkennen und bekämpfen. Nach der Impfung vermehren sich diese auf den Erreger spezialisierten Zellen und produzieren immer mehr Antikörper und T-Zellen. Der Impfschutz entsteht. Mit der zweiten Impfung erhöht sich die Zahl der Zellen und der Körper verbessert und verfeinert die Fähigkeit der Immunzellen, den Erreger zu erkennen und zu blockieren. Also ist die zweite Dosis eigentlich nur ein „Nice to have“, aber nicht zwingend nötig? Doch, sie ist sehr wichtig, um einen noch stärkeren und vor allem länger anhaltenden Schutz aufzubauen. Das darf man nicht unterschätzen. Wir wollen ja nicht warten, bis die Antikörper nach der ersten Impfung wieder abfallen, sondern im Gegenteil die Effizienz der Abwehr mit der zweiten Dosis stärken. Doch dafür ist es nicht zwingend nötig, nach exakt drei Wochen die zweite Impfung zu geben. Es ist ausreichend, das innerhalb des durch die Ständige Impfkommission (Stiko) empfohlenen Intervalls von drei bis sechs Wochen zu tun. Möglicherweise bleibt dazu sogar noch mehr Zeit, aber dazu haben wir noch keine guten Daten. Wie erklärt sich der Mindestabstand, der zwischen den beiden Impfungen eingehalten werden muss? Für das Durchlaufen der verbessernden Lebenszyklen und damit den Aufbau des Immunschutzes brauchen die Immunzellen ihre Zeit, in der Regel sind das um die zwei bis drei Wochen. Wenn man in diese Verbesserungszyklen zu früh mit einer zweiten Impfung hineingeht, erreicht man nicht den gewünschten verstärkenden Effekt. Die zweite Dosis verpufft ohne wesentlichen zusätzlichen Nutzen. In der derzeit laufenden Impfkampagne wird die Zweitimpfung sehr starr nach 21 oder 28 Tagen terminiert. Zu Recht? Dieser Abstand von um die drei Wochen ist der Mindestabstand, aber nicht der exakt einzuhaltende Abstand. Das sagt so auch die Stiko. Dieser Mindestabstand variiert bei den verschiedenen Impfstoffen. Bei Pfizer/Biontech zum Beispiel sind das 21 Tage, bei Moderna 28 Tage. In den Zulassungsstudien für den Biontech-Impfstoff wurde die Wirkung von Abständen zwischen 21 und bis zu 42 Tagen untersucht. Diese Zeitspanne hat die Stiko übernommen für ihre Empfehlung.