Nach der Entmachtung von Ministerpräsident Hichem gerät die Lage in Tunesien außer Kontrolle. Präsident Saied weist Vorwürfe eines Putsches zurück.
Als Tunesiens Parlamentspräsident Rached al Ghannouchi am frühen Montagmorgen vor dem Parlamentsgebäude in Tunis ankam, fand er den Eingang von Soldaten versperrt. Wenige Stunden zuvor hatte Staatschef Kais Saied die Regierung entlassen und das Parlament aufgelöst. Ein Putsch, sagte Ghannouchi, Chef der islamisch-konservativen Ennahda-Partei, der stärksten politischen Kraft des Landes. Vor dem Tor des Parlaments rief er die Tunesier zum Widerstand gegen Saied auf. Tunesien, die einzige Demokratie, die aus dem Arabischen Frühling vor zehn Jahren hervorging, zerstört sich selbst. Tunesiens Präsident Saied rief noch am Montag eine abendliche Ausgangssperre aus. Diese gelte ab sofort bis zum 27. August von 19 Uhr bis 6 Uhr, hieß es am Montag in einer Erklärung des Präsidialamts auf Facebook. Ausnahmen gebe es nur für dringende medizinische Notfälle und Nachtarbeiter. Zudem dürften sich nicht mehr als drei Menschen in der Öffentlichkeit treffen. In einem Video wies Saied Vorwürfe eines Putsches zurück. Die Krise entzündete sich an einem Streit um die Pandemie-Bekämpfung. Das Coronavirus wütet im Land, am Samstag starben 317 Menschen an einem Tag, so viele wie nie zuvor seit Beginn der Pandemie, und die Impfkampagne kommt nicht voran. Nur sieben Prozent der Bevölkerung sind vollständig immunisiert. In den Krankenhäusern fehlen Betten, Sauerstoff und Personal. Mancherorts bleiben die Leichen von Covid-Opfern in den Kliniken liegen, weil niemand da ist, der sie abtransportieren kann. Ministerpräsident Hichem Mechichi feuerte deshalb in der vergangenen Woche Gesundheitsminister Faouzi Mehdi, einen persönlichen Freund von Präsident Saied.