Start United States USA — mix "Ich staune über die Unbelehrbaren"

"Ich staune über die Unbelehrbaren"

124
0
TEILEN

Heinrich Breloer, Meister des Dokudramas, feiert seinen 80. Geburtstag. Ein Gespräch über Pandemie, Missbrauch, Filme als Aufklärung und Robert Habeck
Herr Breloer, bevor Ihr Zweiteiler „Brecht“ fertig war, munkelte man, Sie hätten noch ein heimliches Lieblingsprojekt in der Hinterhand. Ja, ich arbeite seit zwei Jahren an einer Serie für den WDR, wieder zu einem Thema aus der deutschen Zeitgeschichte. Aber alle Beteiligten haben mich dazu verdonnert, kein Wort darüber zu sagen. Mein Arbeitstitel lautet deshalb: „Der Mantel des Schweigens“. Wie ist es Ihnen in den zwei Pandemie-Jahren persönlich ergangen? Ich habe unter der Luxus-Quarantäne, in der ich hier lebe, nicht gelitten. Ich habe mein Studio, in dem ich arbeite, darunter die Wohnung. Es ist vieles reduziert, bin zwei Jahre nicht bei meiner Tochter in Hamburg gewesen. Aber ich staune über die Unbelehrbaren. So viele Tote – als würde jeden Tag ein Flugzeug abstürzen. Das müsste man denen, die sich nicht impfen lassen, massiv vor Augen führen. Nicht nur als Zahl, sondern bildhaft. Wie bei der Anti-Raucher-Werbung in den USA. Oder wie bei der Einführung der Anschnallpflicht. Kein Mensch wollte damals den Gurt, aber im „7. Sinn“ war deutlich zu sehen, welche Folgen es bei einem Unfall selbst bei 30 Stundenkilometern hat, wenn man nicht angeschnallt ist. Hat das Fernsehen in der Pandemie also keinen guten Job gemacht? Sie vertrauen zu sehr auf das Wort. Aber das Fernsehen ist ja ein Bildermedium, und die Menschen sind durch Bilder ganz anders zu erreichen. Wo sind die Clips, die in 40 Sekunden das tatsächliche Drama vor Augen führen bis ins Krematorium? Mit dem einen Satz: „Besser einen Lappen vorm Mund als ein Zettel am Zeh.“ Es gibt die Hölle nicht Man kann generell einen Vormarsch von „gefühlten Wahrheiten“ feststellen. Das muss jemanden, der sein Leben lang akribisch recherchiert hat, verrückt machen. Ich denke immer an meinen „Faust“ aus dem Studium: „Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, des Menschen allerhöchste Kraft, dann hab ich Dich schon unbedingt.“ Das sagt der Teufel. Ich erinnere mich an meine Internatszeit, an diesen Terror um den Mythos Hölle. Das war so tief in mich eingesenkt. Ich habe lange gebraucht, bis ich es nicht nur wusste, sondern auch fühlte: Es gibt die Hölle nicht, es ist eine sadistische Erfindung. Sind Sie noch ein gläubiger Mensch? Nein, ich bin aus der Kirche ausgetreten. Ich habe ja im Internat schon in den frühen Fünfzigern die Übergriffe und den Missbrauch mitbekommen. Ich war mit meinen zehn Jahren zum Glück so jung, dass ich nicht ins Beuteschema dieses Präfekten passte, der die Kinder abgriff. Er ist dann rausgeflogen und hat trotzdem die Priesterweihe bekommen. Die Kamera war wie eine Waffe Sie mussten auch bei der Polizei aussagen. Ja, ich wurde gefragt, ob mich Herr L. „unsittlich berührt“ habe. Ich wusste gar nicht, was das war.

Continue reading...