Es ist Tag 21, seit Russland die Ukraine angegriffen hat. Aus mehreren Städten der Ukraine wurde in der Nacht zu Mittwoch Alarm gemeldet. | TAG24
Kiew (Ukraine) – Es ist Tag 21, seit Russland die Ukraine angegriffen hat. Ein Ende der Kämpfe ist weiter nicht in Sicht. Aus mehreren Städten der Ukraine wurde in der Nacht zu Mittwoch Alarm gemeldet. Zudem wurden die Verhandlungen zwischen Vertretern Russlands und der Ukraine über ein Ende des Krieges auch am Dienstag vertagt, sie sollen am heutigen Mittwoch fortgesetzt werden. Der ukrainische Präsident, Wolodymyr Selenskyj (44), hat sich zu den Gesprächen vorsichtig optimistisch geäußert. Die Verhandlungspositionen hörten sich realistischer an, sagte er in einer Videobotschaft. „Wir alle wollen so schnell wie möglich Frieden und Sieg“, meinte der Präsident. „Aber es braucht Mühe und Geduld. Es muss noch gekämpft und gearbeitet werden.“ Jeder Krieg ende mit einer Vereinbarung. In der Nato wird derweil eine dauerhafte Verstärkung der Ostflanke erwogen. Und erstmals seit der russischen Invasion in die Ukraine wird ein internationales Gericht ein Urteil über den Angriff fällen. Das höchste Gericht der Vereinten Nationen in Den Haag entscheidet am Mittwoch über die Dringlichkeitsklage der Ukraine gegen den Nachbarstaat. Weitere Infos zum Kriegsgeschehen in Osteuropa lest Ihr im TAG24-Liveticker. Die Ukraine hat Russland eine Geiselnahme in einem Krankenhaus der südostukrainischen Hafenstadt Mariupol vorgeworfen. Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk sagte in einer Videobotschaft vom Mittwoch, insgesamt handele es sich um etwa 400 Zivilisten. „Und jetzt wird aus dem Krankenhaus heraus geschossen“, sagte Wereschtschuk. Zuvor hatte bereits die Hilfsorganisation Media Initiative for Human Rights entsprechende Vorwürfe erhoben. Von russischer Seite gab es zunächst keine Stellungnahme. Mariupol ist seit etwas mehr als zwei Wochen von russischen Truppen eingeschlossen. Seit mehreren Tagen toben schwere Straßenkämpfe. Die humanitäre Lage in der Stadt gilt als katastrophal, Hunderttausende Menschen harren unter schweren Bedingungen aus. Der Chefankläger des UN-Kriegsverbrechertribunals, Karim Khan, reist am Mittwoch an die polnisch-ukrainische Grenze. Khan werde in Begleitung von Polens Justizminister Zbigniew Ziobro einen Erstaufnahmepunkt am Grenzort Medyka besuchen, teilte das Justizministerium in Warschau mit. Die Vereinten Nationen haben vor dem Tribunal ein Verfahren in Gang gesetzt, das mögliche Kriegsverbrechen beim russischen Angriff auf die Ukraine untersuchen soll. Polens Präsident, Andrzej Duda (49) hatte in der vergangenen Woche bei einem Besuch von US-Vizepräsidentin Kamala Harris gesagt, Russland Attacke trage die Züge eines Völkermords. Polen hatte kürzlich bereits angekündigt, man wolle ein Dokumentationszentrum einrichten, um Beweise für die Kriegsverbrechen zu sammeln. In dem Land sind seit Beginn des Kriegs fast 1,9 Millionen Flüchtlinge angekommen. Russlands Außenminister, Sergej Lawrow (71), sieht Chancen auf einen Kompromiss bei den Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew. Die Gespräche seien aus offensichtlichen Gründen nicht einfach. „Dennoch besteht eine gewisse Hoffnung, einen Kompromiss zu erzielen“, sagte Lawrow am Mittwoch dem Sender der russischen Zeitung „RBK“. Es gebe bereits konkrete Formulierungen, „die meiner Meinung nach kurz vor der Einigung stehen“. Dabei geht es Lawrow zufolge darum, dass sich die Ukraine für neutral erklären soll. Dieses werde nun „ernsthaft diskutiert, natürlich in Verbindung mit Sicherheitsgarantien“. Am (heutigen) Mittwoch wollten Vertreter beider Länder ihre Gespräche im Online-Format fortsetzen. Zivilisten aus umkämpften Städten und Dörfern in der Ukraine können nach Angaben aus Kiew am Mittwoch nicht auf eine Evakuierung hoffen. Kiew habe keine Antwort auf seine ans Rote Kreuz gerichteten Vorschläge erhalten, sagte Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk in einem am Mittwoch veröffentlichten Video. „Die Frage humanitärer Korridore für Isjum und Mariupol ist offen. Es ist derzeit unmöglich, Menschen dort gefahrlos herauszuholen“, sagte Wereschtschuk. „Wege für die Lieferung von Lebensmitteln und Medikamenten in eroberte Städte werden ausgearbeitet.“ In den vergangenen Tagen waren immer wieder Menschen über vereinbarte Fluchtkorridore entkommen. Wereschtschuk warf den russischen Einheiten vor, sie hätten Kolonnen mit Flüchtenden und Sammelpunkte in Siedlungen beschossen. Russland erhebt seinerseits ähnliche Vorwürfe gegen ukrainische Truppen. Estland hat bei einem Nato-Treffen die Forderung nach einer Flugverbotszone über der Ukraine erneuert. „All diese Staaten, die eine Flugverbotszone kontrollieren können, müssen handeln“, sagte Verteidigungsminister Kalle Laanet am Mittwoch am Rande von Beratungen in der Nato-Zentrale in Brüssel. Er betonte zudem, dass Estland die Ukraine mit allen Mitteln unterstütze. Die Durchsetzung einer Flugverbotszone durch die Nato gilt allerdings als derzeit ausgeschlossen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte immer wieder gefordert, dass eine Flugverbotszone über der Ukraine eingerichtet wird. Bisher hätten ihn seine westlichen Partner als Reaktion auf diese Bitte immer nur vertröstet. Die Nato lehnt eine Flugverbotszone bislang ab, um nicht in einen direkten Konflikt mit Russland verwickelt zu werden. Seit Beginn des russischen Angriffs gegen die Ukraine sind nach Angaben aus Kiew mehr als 100 Kinder getötet worden. „Heute wurde eine blutige Linie überquert“, twitterte das ukrainische Verteidigungsministerium am Mittwoch unter Verweis auf die Zahl. „Jede Minute verlässt ein Kind die Ukraine, um dem Krieg zu entkommen. Russland wird zur Verantwortung gezogen werden und wird für alles bezahlen“, betonte das Ministerium. Zuvor hatten die ukrainischen Behörden von Hunderten zerstörten Schuleinrichtungen berichtet. Die ukrainische Sängerin Ruslana (48), ESC-Siegerin von 2004, hält den Ausschluss Russlands vom Eurovision Song Contest wegen des Einmarschs in die Ukraine für alternativlos. „Solange Wladimir Putin Russland kontrolliert, wird das Land nie wieder an etwas teilnehmen“, sagte die 48-Jährige („Wild Dances“) der Deutschen Presse-Agentur. Das „Aggressorland“ habe kein „moralisches Recht“, bei Ereignissen einer friedlichen Welt mitzumachen. Ruslana unterstützte die prowestlichen Protestbewegungen von 2004 und 2013/2014 in Kiew. Im Falle eines andauernden Kriegs könnten in der Ukraine nach ersten Schätzungen der Vereinten Nationen in den kommenden zwölf Monaten rund 90 Prozent der Bevölkerung von Armut betroffen sein. Eine anhaltende russische Invasion könnte das Land wirtschaftlich in diesem Zeitraum um fast zwei Jahrzehnte zurückwerfen, teilte das UN-Entwicklungsprogramms UNDP am Mittwoch mit. Die akuten Auswirkungen eines langwierigen Kriegs würden jetzt immer offensichtlicher, sagte der Leiter des UN-Entwicklungsprogramms, Achim Steiner, laut Mitteilung. Der „alarmierende wirtschaftliche Niedergang“ und das Leid und die Not, die der Krieg für die bereits traumatisierte Bevölkerung bringen werde, müssten jetzt noch deutlicher zutage treten. „Es ist noch Zeit, diese düstere Entwicklung aufzuhalten.“ Immer mehr Menschen fliehen aus der Ukraine vor dem Krieg nach Deutschland. Die deutschen Behörden registrierten binnen eines Tages rund 15.000 Neuankömmlinge. Seit Beginn des russischen Angriffs sind damit 174.597 Menschen aus der Ukraine nach Deutschland eingereist und dabei registriert worden, wie das Bundesinnenministerium am Mittwoch mitteilte. Die meisten sind Frauen und Kinder. Erfasst werden allerdings nur jene, die von der Bundespolizei festgestellt werden, etwa an der österreichisch-bayerischen Grenze oder in Zügen. Im Regelfall gibt es aber keine festen Grenzkontrollen an den EU-Binnengrenzen, und Ukrainer dürfen erst einmal ohne Visum einreisen – die Zahl der Angekommenen ist daher wahrscheinlich deutlich höher. Nicht erfasst wird außerdem, wie viele womöglich von Deutschland aus weiterreisen zu Freunden oder Verwandten in anderen Staaten. Die für die Welternährung wichtigen Weizenausfuhren aus der Ukraine und Russland über das Schwarze Meer sind nach Angaben des größten deutschen Agrarhändlers Baywa weitgehend zum Erliegen gekommen. „Aus den Häfen der Ukraine wird derzeit null exportiert, da verlässt gar nichts das Land“, sagte Jörg-Simon Immerz, Leiter des Getreidehandels bei dem Münchner Unternehmen, der Deutschen Presse-Agentur. „Auf der russischen Seite gibt es zwar Exporttätigkeit, aber sehr eingeschränkt.“ Der Schwarzmeermarkt mit Weizen aus Russland und der Ukraine decke etwa 30 Prozent der weltweiten Nachfrage ab. Meldungen von einem drohenden Exportstopp für russisches Getreide hatten zuletzt Aufsehen erregt. Gravierender sind laut Baywa die direkten Auswirkungen der russischen Invasion auf die Landwirtschaft in der Ukraine. Trotz seines Kriegs gegen die Ukraine pumpt Russland nach eigenen Angaben weiter Gas durch das Nachbarland nach Europa – allerdings etwas weniger als noch am Dienstag. In Richtung Westen sollten an diesem Mittwoch 95 Millionen Kubikmeter geliefert werden, wie der Staatskonzern Gazprom der Agentur Tass zufolge mitteilte. Am Vortag waren es 109,6 Millionen Kubikmeter. Gazprom hatte zuletzt von einer steigenden Nachfrage nach Erdgas berichtet und etwa auf kühles Winterwetter in Europa verwiesen. Das Unternehmen betonte, alle Verträge würden erfüllt. Die russische Wirtschaft ist stark von Einnahmen durch Energielieferungen abhängig. London teilte unter Berufung auf seine Geheimdienstinformationen mit, Russland habe auch Kräfte aus seinen Flotten im Pazifik und aus Armenien in die Ukraine gezogen. Außerdem beauftrage Moskau private Söldner, etwa aus Syrien. Diese könnten demnach eingesetzt werden, um besetzte Gebiete zu kontrollieren, um die Streitkraft der eigenen Truppen zu erhöhen. Großbritannien sieht im Ukraine-Krieg große Verluste auf russischer Seite. Die ukrainischen Streitkräfte hätten taktisch Russlands Schwächen ausgenutzt, den russischen Vormarsch vereitelt und „den Truppen schwere Verluste zugefügt“, hieß es am Mittwoch in einem Geheimdienst-Update des britischen Verteidigungsministeriums.
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Deutschland — in German Ukraine-Krieg im Liveticker: Russen halten Krankenhaus-Personal in Mariupol als Geiseln