Ricarda Lang erklärt, warum Waffenlieferungen für die Ukraine gerade wegen grüner Prinzipien geboten sind – und wie in ihrer Partei die Stimmungslage diesbezüglich ist. Dem Kanzler widerspricht die Grünen-Chefin mit Blick auf die Aufarbeitung der deutschen Russland-Politik.
WELT: Frau Lang, Ihre Partei ist jetzt zum zweiten Mal an einer Bundesregierung beteiligt. Wie bereits 1999 im Kosovo und 2001 in Afghanistan wachen die Grünen wieder im Krieg auf. Wie kommt Ihre Partei damit klar? Ricarda Lang: Dieser Krieg ist eine Zäsur für die gesamte Gesellschaft. Ich sehe, dass meine Partei sich dieser Lage stellt und Verantwortung übernimmt. Am Samstag haben wir einen kleinen Parteitag in Düsseldorf. Da ist kein Aufräum-Kommando für Farbbeutel geplant… WELT:… wie auf dem Bielefelder Parteitag im Mai 1999, als der grüne Außenminister Joschka Fischer wegen des Militäreinsatzes der Bundeswehr im Kosovo mit einem Farbbeutel attackiert wurde. Damals waren Sie fünf Jahre alt. Lang: Ich kenne das aus Erzählungen. Heute höre ich manchmal, die Grünen seien endlich in der Realität angekommen. Das kann ich nicht nachvollziehen. Ich erlebe seit Jahren eine Partei, die dafür wirbt, eine vorausschauende Politik anhand der Wirklichkeit zu machen. Unsere kritischen Positionen zur Gaspipeline Nord Stream 2, zum Putin-Regime, zur Notwendigkeit erneuerbarer Energien vertreten wir seit langer Zeit. WELT: Trotzdem war niemand in der deutschen Politik auf diesen Krieg vorbereitet. Was hat das für Sie persönlich verändert? Lang: Die Frage von Krieg und Frieden hat mich immer politisch beschäftigt. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der sich Frieden in Europa wie eine Gewissheit angefühlt hat. Diese Gewissheit ist verloren gegangen. Die Frage, wie wir Grüne uns als Friedenspartei aufstellen, aber natürlich auch, wie wir als gesamte Gesellschaft damit umgehen, steht jetzt für mich im Mittelpunkt. WELT: Was heißt das konkret? Lesen Sie jetzt Bücher über die Organisationsstruktur der Bundeswehr? Lang: Auch das. Ich bin keine Waffenexpertin, und das wird man auch nicht innerhalb von ein paar Monaten. Aber ich muss informierte Entscheidungen treffen. Ich beschäftige mich also mit internationalem Völkerrecht, lese Bücher über russische und ukrainische Geschichte. Wenn man das Amt einer Bundesvorsitzenden annimmt, ist das immer ein Sprung ins kalte Wasser. In dieser Lage war das Wasser noch ein bisschen kälter. WELT: Die Entscheidung über die Beteiligung am Kosovo-Krieg führte in Ihrer Partei 1999 zu einer heftigen Zerreißprobe. Es gab heftigen Streit, viele Austritte. Heute wirken die Grünen anders, viel stiller. Warum ist das so? Lang: Die Grünen haben sich in den letzten 20 Jahren verändert. Wir sind nicht stiller, aber geschlossener. Natürlich gibt es Diskussionen. Aber die Richtung ist klar. WELT: Frieden schaffen mit schweren Waffen? Lang: Wir machen uns diese Entscheidungen nicht leicht, natürlich hadere auch ich damit, es gibt kein Schwarz und Weiß.
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USA — mix „Friedenspartei muss die Friedensordnung verteidigen, wenn sie angegriffen wird“