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"Es floss Blut aus allen Ecken" – Berichte aus dem Iran, ein Jahr nach dem Tod von Jîna Mahsa Amini

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Sie wurden geschlagen, beschossen und festgenommen – dennoch stellen sie sich gegen das Regime. Acht Menschen aus dem Iran berichten von ihrem Kampf für die Freiheit.
Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Das Regime hat sie geschlagen, beschossen und festgenommen – dennoch geben sie nicht auf: Bei t-online berichten acht Menschen aus dem Iran von ihrem Kampf für die Freiheit.
Es begann vor genau einem Jahr: Mit dem Tod der jungen Kurdin Jîna Mahsa Amini entbrannte am 16. September 2022 erst in der Provinz Kurdistan, dann im ganzen Iran ein Protest der Bevölkerung gegen das islamische Regime. Die 22-jährige Amini war nach einer gewaltsamen Festnahme durch die sogenannte Sittenpolizei gestorben. Landesweit gingen die Menschen auf die Straßen, Frauen verbrannten ihren Hidschab, Arbeiter und Händler schlossen sich Streiks an.
Das Regime reagierte mit unerbittlicher Gewalt. Mehr als 20.000 Menschen ließen die Mullahs im Zuge der Proteste verhaften, darunter zahlreiche Journalistinnen und Journalisten. Regimekräfte erschossen mehr als 500 Menschen auf den Straßen, zahlreiche Menschen wurden verletzt. Die anfangs lauten Proteste sind seitdem leiser geworden – doch alltäglicher.
Viele Frauen tragen den obligatorischen Hidschab nicht mehr, Männer solidarisieren sich mit ihnen, tragen – entgegen der Regeln des Regimes – kurze Hosen. Aktivistinnen und Aktivisten sprühen Parolen an Häuserwände. Weniger gefährlich ist der Widerstand dennoch nicht. Gerade mit dem Jahrestag der Proteste hat das Regime sein Vorgehen gegen Kritiker und Protestierende wieder verschärft.
t-online hat zu zahlreichen Anhängern der Protestbewegung Kontakt aufgenommen. Um sie vor der Gewalt des Machtapparates zu schützen, verlief die Kommunikation schriftlich und teils über Mittelsleute. Auch hat t-online ihre Namen zu ihrem Schutz geändert. Die Nachrichten liegen t-online in Persisch und Kurdisch vor. Die Redaktion hat sie übersetzen lassen. Die Schilderungen sind teils sehr explizit und zeugen von Gewalt und Tötungen durch das Regime.
Shirko, männlich, 32 Jahre alt, aus Mahabad, Provinz Kurdistan
„Ich war Zeuge vieler Verletzungen von Demonstranten, einschließlich mir selbst. Etwa 70 Schüsse einer Schrotflinte trafen meinen Körper, aber ich hatte trotzdem ein seltsames Gefühl von Freude und Stolz. Nachdem ich die meisten Kugeln entfernt hatte, kehrte ich auf die Straße zurück. Ich sah Leute, deren Körper voller Schüsse waren, aber sie waren nicht bereit, nach Hause zurückzukehren. […]
In einer anderen Nacht sah ich einen jungen Mann, dessen Bein durchschossen wurde. Einem anderen waren die Eingeweide aus dem Bauch geschossen worden. Diese Nacht war eine schreckliche Nacht. Das Einzige, was wir hatten, waren Steine, die wir im Fluss gefunden hatten. Aber die Regierung verhielt sich so, als ob sie in einer Front mit einem hoch entwickelten militärischen Gegner kämpfen müsste. […]
Ich weiß nicht mehr, was wann passiert ist. Woran ich mich aber gut erinnere, ist […] dieses angenehme Gefühl von Freiheit, das Gefühl der Zugehörigkeit zu den Menschen, Mut und Beständigkeit. […] Solange das Unterdrückungs- und Tyranneisystem, die Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Armut, Diskriminierung, soziale Kluft, Korruption, Arbeitslosigkeit und Repression existieren, protestieren wir weiter.“
Rojin, weiblich, 32 Jahre alt, Urmia, Provinz Kurdistan
„Personen aus meiner Familie, Freunde und Bekannte wurden von Gummigeschossen verletzt und ins Gefängnis geworfen. Meine Erfahrung in Kurdistan war sehr bitter, da die Unterdrückung dort verschärft und intensiviert war. Heute sehe ich Menschen in meiner Umgebung, deren Kinder, Väter oder Brüder immer noch im Gefängnis sind und ich sehe täglich ihr Leiden.

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