Merz wirbt beim Parteitag der NRW-CDU um Kompromisse mit der SPD – und überlässt die Parteiseele lieber Wüst, der 98 Prozent bekommt.
Die Kanzlerstimme bricht, als es um die Streitkultur in der schwarz-roten Bundesregierung geht. Friedrich Merz hat am Samstagmorgen beim Landesparteitag der nordrhein-westfälischen CDU im Bonner Kongresszentrum gerade eine gute Viertelstunde gesprochen, als er bei den gut 600 Delegierten um Verständnis für die Rumpeleien mit den Sozialdemokraten in den ersten gut 100 Tagen seiner Kanzlerschaft wirbt.
„Wir ringen in bester Absicht…“, setzt Merz an und räuspert sich. Der Kanzler hat sich verschluckt und braucht Wasser. Das kleine rhetorische Missgeschick soll aber an diesem Vormittag gerade kein Symbol sein. Merz ist nach Bonn gekommen, um die Berliner Auseinandersetzungen der vergangenen Wochen über Stromsteuer, Verfassungsrichter-Wahl oder Waffenliefer-Stopp an Israel in einen größeren Kontext zu bringen.
„Das Ringen um den richtigen Weg gehört in einer Koalition dazu“, sagt Merz. Und: „Nicht jede Meinungsverschiedenheit ist sofort ein Streit.“ Auch in den Zeiten der Bonner Republik unter seinem CDU-Vorgänger Konrad Adenauer, dessen 150. Geburtstag im nächsten Jahr begangen werden soll, sei kräftig gestritten worden um wichtige Weichenstellungen. Richtungsentscheidungen gingen nun mal „nicht nur im Konsens“.
Bonn ist für Merz ein besonderer Ort. Hier hat er studiert, eine Familie gegründet und er gehört zu den letzten Berliner Spitzenpolitikern, die in den 90ern noch im Bundestag am Rhein gesessen haben. Nun präsentiert er sich als Kanzler, der es mit einem „tiefen Epochenbruch“ zu tun habe. Es sei nicht die Zeit, in der man „einfach mal ein bisschen regieren“ könne. Sozialstaat, Ukraine-Krieg, Wirtschaftsstandort, Trump, Nato – Merz führt die NRW-CDU durch sein tägliches Gebirge an Herausforderungen, die an die großen bundesrepublikanischen Debatten um Westbindung und Wiederbewaffnung heranreichten.
Ob diese historische Folie hilft, mehr Verständnis für die aktuellen Auseinandersetzungen zwischen Union und SPD und die schwachen Umfragewerte zu finden? Merz, der über Jahre am Rednerpult jeden Saal anzünden konnte, plätschert eher dürftiger Applaus entgegen.