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Türkei stoppt alle Regierungskontakte mit den Niederlanden

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Der Streit zwischen der Türkei und den Niederlanden spitzt sich dramatisch zu: Das Kabinett in Ankara setzte sämtliche hochrangige Kontakte beider Länder aus und verweigert dem Botschafter die Rückkehr. Mehr im Ticker.
Im Streit mit den Niederlanden hat die türkische Regierung mit scharfen diplomatischen Strafmaßnahmen nachgelegt. Das Kabinett in Ankara setzte am Montagabend sämtliche hochrangige Kontakte zur niederländischen Regierung aus. Alle geplanten Begegnungen „auf Ministerebene und höher“ würden ausgesetzt, „bis die Niederlande für das, was sie getan haben, Wiedergutmachung leisten“, sagte Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus nach einer Kabinettssitzung.
Die Ministerrunde beschloss laut Kurtulmus zudem, den niederländischen Botschafter nicht mehr einreisen lassen. Botschafter Kees Cornelis van Rij dürfe seinen Posten in der Türkei erst wieder antreten, „wenn die Bedingungen, die wir gestellt haben, erfüllt sind“, sagte Kurtulmus weiter.
Der niederländische Botschafter befindet sich derzeit nicht in der Türkei. Die Botschaft wird momentan von einem Geschäftsträger geführt. Die Türkei hatte im Streit um die verhinderten Redeauftritte von Ministern eine offizielle Entschuldigung der Niederlande verlangt. Die niederländische Regierung hat dies bereits mehrfach abgelehnt.
Nach dem Eklat um geplante Wahlkampfauftritte türkischer Minister in den Niederlanden gibt es anhaltende diplomatische Spannungen zwischen den zwei Staaten. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will nun nach eigenen Worten vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.
Das Auswärtige Amt in Berlin hat seine Reisehinweise für die Türkei mit Blick auf das türkische Referendum zur Einführung eines Präsidialsystems am 16. April verschärft. „Im Zuge des Wahlkampfes muss mit erhöhten politischen Spannungen und Protesten gerechnet werden, die sich auch gegen Deutschland richten können“, heißt es in dem Zusatz vom Montag. „Hiervon können im Einzelfall auch deutsche Reisende in der Türkei betroffen sein.“ Ihnen werde daher empfohlen, „sich von politischen Veranstaltungen und grundsätzlich von größeren Menschenansammlungen fernzuhalten“.
Nach dem Eklat um geplante Wahlkampfauftritte türkischer Minister in den Niederlanden hat bereits das Außenministerium in Den Haag die offiziellen Warnhinweise verschärft. Dabei wird ausdrücklich auf die diplomatischen Spannungen mit der Türkei seit dem Wochenende verwiesen. Die Niederlande hatten einen geplanten Auftritt des türkischen Außenministers untersagt und eine dennoch eingereiste Ministerin des Landes verwiesen.
Den dritten Tag in Folge wurde der Geschäftsträger der niederländischen Botschaft einbestellt, wie aus dem türkischen Außenministerium verlautete. Ihm wurden demnach zwei Protestnoten überreicht. Ankara fordere eine „offizielle schriftliche Entschuldigung der niederländischen Behörden“, hieß es. Doch eine Entschuldigung aus Den Haag dürfte nicht kommen. Ministerpräsident Mark Rutte lehnte eine solche abermals ab: „Die Türkei ist ein stolzes Land, die Niederlande sind aber auch ein stolzes Land.“
Innenminister Joachim Herrmann (CSU) schließt nicht aus, dass auch in Bayern türkische Wahlkampfveranstaltungen geplant sind. Als mögliche Orte nannte er München und Nürnberg. Termine seien aber bisher nicht bekannt. „Größere Veranstaltungen haben wir bisher nicht feststellen können. Wir beobachten das sehr genau“, sagte Herrmann. „Wir wollen diesen Wahlkampf in der Türkei nicht in unserem Land.“ Dies zeige, wie zweischneidig die doppelte Staatsbürgerschaft sei: Hierzulande werde nun darum geworben, sich an der innertürkischen Meinungsbildung zu beteiligen. Herrmann betonte, dass nicht zum ersten Mal innertürkische Konflikte in Deutschland ausgetragen würden; er erinnerte an den Konflikt zwischen Kurden und Türken. Angesichts der schwierigen Lage habe sich die Zusammenarbeit mit türkischen Polizeibehörden drastisch reduziert und sei fast auf dem Nullpunkt.
Das türkische Außenministerium hat scharfe Kritik an einem Wahlaufruf der schweizerischen Zeitung „Blick“ zum bevorstehenden Referendum über das Präsidialsystem geäußert. Das Ministerium in Ankara forderte die Zeitung in einer Mitteilung am Montag dazu auf, bei der Berichterstattung über die Türkei die Regeln des „unparteiischen Journalismus“ einzuhalten. „Außerdem erwarten wir, dass Schritte unternommen werden, die Respektlosigkeit gegenüber unserem Herrn Präsidenten wiedergutmachen.“
„Blick“ hatte am Mittwoch die Türken in der Schweiz dazu aufgerufen, gegen das von Staatspräsident Erdogan angestrebte Präsidialsystem und damit gegen „Erdogans Diktatur“ zu stimmen. Zur Begründung hieß es auf Türkisch und Deutsch: „Für uns Schweizer aber ist es inakzeptabel, wenn jemand hier von Freiheit und Rechtsstaat profitiert und diese gleichzeitig zu Hause abschaffen will. Das geht nicht. Wer in seinem Heimatland diktatorische Verhältnisse einführen will – bitte schön. Aber dann soll er auch unter ihnen leben.“
Der diplomatische Konflikt mit der Türkei macht den Ausgang der niederländischen Parlamentswahl zu einer politischen Wundertüte. Wer profitiert bei der Wahl am Mittwoch von der Eskalation des Streits über Auftritte türkischer Politiker in den Niederlanden – der islamfeindliche Populist Geert Wilders oder doch der liberal-konservative Ministerpräsident Mark Rutte?
Eine Umfrage zufolge steht eine Mehrheit der Niederländer zwar hinter Ruttes hartem Türkei-Kurs. Die gleiche Umfrage gibt jedoch keine klare Antwort, ob sich die aufgeheizte Stimmung für den seit 2010 amtierenden Rutte auch in Stimmen auszahlen wird. Der Konflikt mit dem Nato-Partner Türkei macht den ohnehin interessanten Urnengang von knapp 13 Millionen Niederländern noch spannender.
Den Wahlumfragen zufolge liefern sich die fünf größten Parteien ein Kopf-an-Kopf-Rennen; sie liegen lediglich fünf Prozentpunkte auseinander. Bis zuletzt gab die Hälfte der Wähler außerdem an, noch unentschlossen zu sein. Der Konflikt mit der Türkei kann zum Züngleich an der Wage werden – muss es aber nicht. Einer Umfrage des Instituts „Maurice de Hond“ vom Sonntagabend zufolge finden 86 Prozent der Befragten Ruttes Türkei-Politik richtig. 77 Prozent geben aber auch an, der Konflikt werde ihre Wahlentscheidung nicht beeinflussen.
Im heftigen diplomatischen Konflikt mit mehreren EU-Ländern bringt die Regierung in Ankara nun offenbar auch das Flüchtlingsabkommen mit der EU ins Spiel. Der türkische Europaminister hat sich einem Medienbericht zufolge für eine Überprüfung des Flüchtlingsabkommens mit der Europäischen Union ausgesprochen. Die staatliche Agentur Anadolu zitierte Minister Ömer Celik am Montag mit den Worten, jener Teil des Abkommens, der die Landpassage von Flüchtlingen betreffe, sollte überdacht werden.
Die Türkei und mehrere EU-Staaten streiten sich über Auftritte türkischer Politiker in Europa vor dem Präsidentschaftsreferendum. Celik beschuldigte die Niederlande der „neofaschistischen Praktiken“. Die niederländische Regierung habe ein „Verbrechen“ begangen und gegen die Menschenrechtskonvention verstoßen, sagte Celik. „Hier fällt allen Demokraten, Fortschrittlichen und Liberalen Europas eine große Aufgabe zu. Sie müssen ihre Stimme vor allem gegenüber diesen neofaschistischen Praktiken in Holland erheben.“
Der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault kritisiert den Nazi-Vorwurf des türkischen Präsidenten Erdogan in Richtung Niederlande. Das sei „inakzeptabel“, sagt Ayrault auf einer Pressekonferenz mit seinem schwedischen Kollegen in Stockholm.
Der Gesamtumfang der EU-Hilfen im Rahmen der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei bleibt unverändert bei 4,5 Milliarden Euro bis 2020. Die Mittel dienten dazu, Reformen zu unterstützen, sagt die für Erweiterungsfragen zuständige Sprecherin der EU-Kommission. EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn hat in einem Interview erklärt, bestimmte Programme seien etwa im rechtsstaatlichen Bereich eingestellt worden, weil es dort keine Fortschritte gegeben habe.
Angesichts zunehmend scharfer Töne aus Ankara fordert die EU-Kommission die türkische Regierung zur Mäßigung auf. „Die Europäische Union ruft die Türkei auf, auf überzogene Aussagen und Handlungen zu verzichten, die Lage weiter zu verschlimmern drohen“, erklärten EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn und die Außenbeauftragte Federica Mogherini in Brüssel.
Die geplante Verfassungsreform in der Türkei gebe Anlass zu „schweren Bedenken“, so die EU-Vertreter mit Bezug auf eine Stellungnahme der Venedig-Kommission vom Freitag. Die Expertengruppe gehört zum Straßburger Europarat, einer von der Europäischen Union unabhängigen Organisation. Die EU-Kommission befürchtet, dass die geplanten Änderungen in der Türkei zu einer „übermäßigen Machtkonzentration“ führen und die Unabhängigkeit der Justiz beeinträchtigen könnten. Beunruhigend ist aus Brüsseler Sicht auch, dass die Reformen im Ausnahmezustand vorangetrieben werden.
Die EU-Kommission kündigt eine Prüfung der geplanten türkischen Verfassungsänderungen vor dem Hintergrund des Status als EU-Beitrittskandidat und Mitglied des Europarats an.
Die Nato hat die Türkei und die anderen Bündnispartner im Streit um untersagte Wahlkampfauftritte türkischer Politiker zur Mäßigung aufgerufen. Ziel müsse es sein, „Spannungen zu entschärfen und die Lage zu deeskalieren“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel.
Nach der Eskalation im Verhältnis zwischen der Türkei und den Niederlanden hat sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf die Seite des deutschen Nachbarlandes gestellt. Die Niederlande hätten ihre „volle Unterstützung und Solidarität“, sagte Merkel in München. Die Kanzlerin kritisierte insbesondere Äußerungen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der niederländische Regierungsmitglieder als „Nazi-Überbleibsel“ bezeichnet hatte. Nazi-Vergleiche führten „völlig in die Irre“, betonte Merkel.
Die Türkei hat derzeit nach Angaben der Bundesregierung keine weiteren Minister-Besuche in Deutschland im Wahlkampf über das anstehende Referendum angekündigt. Dies sagt der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer.
Auch zwei Wochen nach der Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel in Istanbul hat die deutsche Botschaft keinen direkten Kontakt zu dem Häftling.

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