Home Deutschland Deutschland — in German Zum Tod von Joachim Kaiser: Meinungshäuptling und Sitting Bull der deutschen Kulturnation

Zum Tod von Joachim Kaiser: Meinungshäuptling und Sitting Bull der deutschen Kulturnation

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Er war der Musikpapst der Nachkriegsrepublik, einer der ganz großen deutschen Feuilletonisten, leidenschaftlich und konservativ. Nun ist der Musik- und Literaturkritiker Joachim Kaiser mit 88 Jahren gestorben. Ein Nachruf.
In Josef Haders wunderbarer Kulturbetriebssatire „Wilde Maus“ wird der Wiener Musikkritiker Georg beim Besuch eines japanischen Restaurants intensiv von einem jungen Asiaten hinter der Theke gemustert. Dieser ist, wie sich herausstellt, ein Pianist, dessen Karriere Georg einst durch einen besonders scharfen Verriss zerstörte und der nun als Hilfskellner sein Geld verdienen muss. Später im Film wird er Georgs Auto mit einem Vorschlaghammer demolieren.
Joachim Kaiser berichtete 2008 in einem „taz“-Interview ganz offen von einem ähnlichen Fall. „Es gibt mich nicht mehr“ habe ihm mal ein Klaviervirtuose gesagt – nach einer schlechten Kaiser-Rezension waren alle seine Engagements aufgekündigt worden. Den Kritikerpapst plagten darob keine Gewissensbisse. Weil nämlich vielmehr die Kulturdezernenten Schuld seien, die sich gegenüber mächtigen Rezensenten keine eigene Meinung erlaubten und jeden sofort fallenließen, sobald in der Presse irgendetwas Böses stünde. „Ich halte mich überhaupt nicht für eitel“ fügte der damals 80-Jährige hinzu, „sondern für arrogant. Alle Kritiker müssen so sein, weil sie Unbeweisbares mit ihrer Person vertreten müssen.“
Angst, seine Meinung zu sagen, hat der 1928 geborene Joachim Kaiser, der letzte deutsche Großkritiker, nie gehabt. Als Sohn eines masurischen Landarztes in großbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen, begeisterte sich der vielseitig Begabte früh für Musik, Literatur und Theater, führt sich nach der Flucht an einem Hamburger Gymnasium ein, indem er seinen Mitschülern Beethoven-Sonaten vorspielt, und pariert als Student in Frankfurt die Anmerkung Theodor W. Adornos, er habe Kaisers Vortrag nicht recht verstanden, mit den Worten: „Das will ich wohl glauben, Herr Professor“.
Mit 23 Jahren stößt der intellektuelle Frühstarter zur legendären Autorenvereinigung der Gruppe 47, diskutiert dort mit Günter Grass und Martin Walser, publiziert in führenden Zeitschriften der intellektuellen Elite wie den „Frankfurter Heften“ und dem „Monat“, arbeitet im Hessischen Rundfunk, promoviert und erhält 1959 eine Kulturredakteursstelle in der „Süddeutschen Zeitung“, wird später dort Feuilletonchef.

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