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Sehen lernen

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Julian Schnabel fühlt sich wie Vincent van Gogh – und in « Werk ohne Autor » folgt Florian Henckel von Donnersmarck den Spuren eines Malers, der Gerhard Richter sein könnte. Ihre Filme haben sich einiges zu sagen.
Julian Schnabel fühlt sich wie Vincent van Gogh – und in « Werk ohne Autor » folgt Florian Henckel von Donnersmarck den Spuren eines Malers, der Gerhard Richter sein könnte. Ihre Filme haben sich einiges zu sagen.
Alle paar Jahre wird Julian Schnabel von der Muse geküsst, und dann macht er einen Film, der ganz besonders ist und eigentümlich und von dem man am Anfang noch denkt, er könne nicht funktionieren – auf magische Weise ist dann aber alles daran bewegend und wunderschön und rührt einen bis ins Mark. « At Eternity’s Gate » heißt seine Geschichte über Vincent van Gogh, der von Willem Dafoe gespielt wird. Das ist eine so vollkommen stimmige Idee, dass man sich fragt, warum darauf nicht längst jemand gekommen ist; aber vielleicht kann Willem Dafoe einfach jede Figur zu einer neuen Fassung seiner selbst machen.
Willem Dafoe spielt also van Gogh, und Julian Schnabel nimmt ganz und gar dessen Perspektive ein – wenn das gleißende Sonnenlicht von Arles ihn blendet, wenn er über die Felder mit verblühten Sonnenblumen zieht, wenn er Aussetzer hat, weil er ausgerastet ist und erst in der Zwangsjacke einer Anstalt wieder zu sich kommt. Aber auch in klaren Momenten ist van Gogh ein Besessener – rasend schnell, irre, von der Vorstellung beseelt, dass er sich alles, was er mit einem durchgehenden Pinselstrich auf die Leinwand bringen kann, wirklich zu eigen gemacht hat.
Diese Figur, sollte man meinen, ist im Kino eigentlich auserzählt, immer wieder, von Vincente Minnelli bis Robert Altman, ist er porträtiert worden. Aber wohl noch nie so sehr als ein Kunststück über Kunst, als eine solche Aneinanderreihung von bewegenden Impressionen eines anderen Künstlers – seit « Schmetterling und Taucherglocke » hat Schnabel nicht mehr so perfekt Emotionen zu Bildern verarbeitet.
Zu den wenigen Tugenden von Festivals, die kein Streamingdienst der Welt ersetzen könnte, gehört es, dass die Filme im Programm sich plötzlich etwas zu erzählen haben – « At Eternity’s Gate » und « Werk ohne Autor » raunen einander im Wettbewerb von Venedig zu, wie unterschiedlich ein Künstler an Dinge herangehen kann und dann doch von der Welt erzählt, in der er lebt. Van Gogh formt die Zeit; der Künstler in « Werk ohne Autor » wird von der Zeit geformt. Schnabel will sich in einem Werk ganz bewusst verlieren – Florian Henckel von Donnersmarck will eine klare Struktur schaffen.
« Werk ohne Autor » ist der einzige deutsche Film im Wettbewerb, und im Grunde porträtiert Donnersmarck hier mehr als einen Künstler – er porträtiert ein Land.

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