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Gesucht: Chef (m/w)

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Angela Merkel wird im Dezember nach 18 Jahren den CDU-Vorsitz abgeben und damit auch die letzte Phase ihrer Kanzlerschaft einläuten. Mit ihr geht auch das Arbeitsprinzip unaufgeregter Entscheidungen. Der Kampf um ihre Nachfolge ist bereits in vollem Gange.
Zehn Minuten braucht Angela Merkel, um 18 Jahre zu beenden. Aber innerhalb dieser zehn Minuten braucht es ein wenig Anlauf. Sie sagt nicht einfach: Ich trete zurück. Sie leitet her, sie erzählt eine Geschichte, und diese beginnt mit dem Begriff „die nackten Zahlen“.
Die nackten Zahlen aus Hessen nämlich seien enttäuschend, sagt Merkel und es gebe ein Problem, nämlich, dass das nicht das einzige sei. Da sei die Bundestagswahl, der Streit zwischen CDU und CSU, die lange Regierungsbildung, das Scheitern von Jamaika und nun diese Wahlergebnisse. Das Bild, das die Regierung abgebe, sei „inakzeptabel“. Da könne man nicht zur Tagesordnung übergehen.
Das mit der Tagesordnung hat sie schon öfters gesagt. Jetzt kommt aber ein neuer Satz: „Wir müssen innehalten.“ Auch sie persönlich betreffe das. Der Abschied von der Parteispitze gehöre dazu. „Es ist Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen.“ Und bei der nächsten Bundestagswahl werde sie nicht erneut als Kanzlerkandidatin antreten. Ihre Stimme ist fest; aber das, was sie sagt, hat sie vor sich auf Papier stehen. Auch Merkel braucht in den historischen Momenten ein Gerüst zum Festhalten.
Während sie vorträgt, blicken Parteifreunde von den Balkonen des Konrad-Adenauer-Hauses in den Innenhof hinunter und schweigen. Es scheint, als gebe es keine spontane, angemessene Emotion für das, was sich gerade abspielt. Denn hier geht an diesem Montag um halb zwei mittags ein Stück deutscher Geschichte zu Ende.
Mit der Ankündigung des Rückzugs von Angela Merkel beginnt die Schlussphase einer Epoche. Angela Merkel ist für die heute 20-Jährigen das, was Helmut Kohl für die 40-Jährigen war: die einzige Kanzlerin, die man kennt. Auf Merkels ersten internationalen Gipfeln saßen noch Bush, Chirac und Blair und in den folgenden Jahren viele weitere Namen. Es schien zwischenzeitlich, als würden alle irgendwann gehen. Nur Merkel nicht.
Spätestens seit der vergangenen Bundestagswahl hat sich dieser Eindruck verändert. Schon nach der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 schien Merkel plötzlich nicht mehr unangreifbar. Aber die Auseinandersetzungen dieses Jahres und der Absturz der Union in den Umfragen und schließlich bei den Landtagswahlen hat Merkel und die Sicht auf sie verändert. Es schien zuletzt keinen Weg ins sanfte Fahrwasser für sie mehr zu geben. Die Kanzlerin, die nie polarisieren wollte, war plötzlich im Mittelpunkt jeder Auseinandersetzung.
Jetzt, nach den neuerlichen Verlusten bei der Landtagswahl in Hessen hat Merkel die Konsequenzen öffentlich gemacht. Getroffen habe sie die Entscheidung schon vor der Sommerpause, sagt sie.
Der Abschied hat zugleich die Debatte um die Nachfolge eröffnet. Noch am Montag kündigten Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Gesundheitsminister Jens Spahn ihre Kandidatur für den CDU-Vorsitz an, auch der frühere Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz will kandidieren.
Der Union steht damit die Auseinandersetzung verschiedener Politikentwürfe und Strömungen bevor. Sie waren zuletzt auch die Pole der Auseinandersetzungen der Union insgesamt. Merkel hat die Partei so weit in die Mitte gerückt wie niemand vor ihr und damit zugleich das Entstehen einer Partei rechts der Union zugelassen. Merkel glaubt an den Weg der Mitte, doch tut die Union das auch? Oder setzt sich ein konservativerer Kurs durch? Was bleibt also nach 18 Jahren von Angela Merkel?
Wer ein Gefühl dafür haben will, wie weitreichend die Entscheidung des Montags ist, der muss mit dem Fahrstuhl auf die Galerie des Adenauer-Hauses in den fünften Stock fahren.

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