Home Deutschland Deutschland — in German Jens Spahn muss sich vor dem Kartellamt verantworten

Jens Spahn muss sich vor dem Kartellamt verantworten

286
0
SHARE

Ernst & Young wurde mit der aus dem Ruder gelaufenen Schutzmasken-Beschaffung beauftragt – ohne Ausschreibung. Nun entscheidet das Kartellamt, ob das rechtmäßig war.
Aufträge an Wirtschaftsberatungsgesellschaften gehören im politischen Geschäft zum Alltag für die verantwortlichen Minister. Die politische Karriere der heutigen EU-Kommissionspräsidentin und ehemaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) scheiterte fast an einem um McKinsey gruppierten Beraterheer in Verteidigungsministerium und Bundeswehr. Und in der gerade immer weiter hochkochenden Wirecard-Affäre spielen die Wirtschaftsberater von Ernst & Young (EY) offenbar eine zentrale Rolle, über die womöglich bald in einem Untersuchungsausschuss gesprochen wird. Nicht unwahrscheinlich, dass dabei auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vorgeladen werden könnte, der seinerzeit als parlamentarischer Staatssekretär unter Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) FinTech-Beauftragter des Ministeriums war. Doch Ernst & Young könnte Spahn auch vorher schon Kopfschmerzen bereiten: Dann nämlich, wenn das Bundeskartellamt entscheidet, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) EY rechtswidrig damit beauftragt hat, ein aus dem Ruder gelaufenes Open-House-Verfahren zur Beschaffung von Atemschutzmasken und Schutzausrüstungen zu managen. Spätestens Anfang September wird, wie der Tagesspiegel Background erfuhr, von der 2. Vergabekammer des Kartellamts über den Fall entschieden. Spahn hat sich für das Verfahren eine renommierte Vergaberechts-Kanzlei an die Seite geholt. Mindestens 30 weitere Verfahren anhängig Und es ist bei weitem nicht der einzige Prozess im Zusammenhang mit dem Open-House-Verfahren: Vor dem Landgericht Bonn sind derzeit mindestens 30 Verfahren anhängig. Derweil verhandelt EY mit einem alten politischen Bekannten und CDU-Politiker über einen – millionenschweren – außergerichtlichen Vergleich für mehrere Mandanten, wie der Redaktion vorliegende Korrespondenzen belegen. Ende März wurde das Open-House-Verfahren im BMG ausgearbeitet. Ziel war es, im Zuge der Corona-Krise möglichst schnell an Atemschutzmasken und Schutzausrüstungen zu kommen. Der Bund verpflichtete sich auf diese Weise, mit allen Anbietern, die ein Angebot machten, einen Vertrag zu schließen und Masken abzukaufen. Wegen des überdurchschnittlichen Abnahmepreises – 4,50 Euro für FFP-2- und 60 Cent für OP-Masken – meldeten sich jedoch weit mehr Händler, als vom BMG offenbar erwartet, es wurden über 700 Verträge geschlossen. Als Partner agierte die Fiege Logistik, ein Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen, das mit der Annahme der Masken nach übereinstimmenden Berichten völlig überfordert war. Später kam deswegen als weiterer Lieferant im Open-House-Verfahren noch die Stölting Sales & Service GmbH hinzu, ebenfalls ansässig in NRW. Als sich Ende April abzeichnete, dass Fiege nicht, wie vertraglich vereinbart, die Masken bis zum 30. April abnimmt, der im Open-House-Verfahren festgelegte späteste Liefertermin von den Lieferanten also nicht bedient werden konnte, begannen die ersten Anwälte mit ihrer Arbeit. Sie verlangen vom BMG Abnahme und anschließende Bezahlung der Ware, berichten aber unisono, vom Ministerium keinerlei Antworten zu bekommen. Es geht dabei um Auftragsvolumen im Milliardenbereich. Das BMG beruft sich darauf, dass etwa ein Fünftel der gelieferten Masken wegen mangelhafter Qualität nicht angenommen würden. Lieferanten beklagen, dass sie nicht die Möglichkeit erhielten, vorgeblich mangelhafte Ware zurückzunehmen und auch keine Prüfberichte zu Gesicht bekämen. Im Mai übernahm EY die „operative Betriebsführung“ für das BMG im Open-House-Verfahren, schrieb allerdings schon vorher Mails in der Angelegenheit. Bereits im Juni bestätigte das BMG dem Tagesspiegel Background, dass der Auftrag an EY nicht ausgeschrieben worden war. Ob dies geltendem Recht entsprach, wird nun das Bundeskartellamt prüfen. Vor einem Monat reichte eine Anwaltskanzlei zusammen mit einer Steuerberatungsgesellschaft eine sogenannte Verfahrensrüge wegen der EY-Vergabe beim BMG ein. Das Vertragsverhältnis mit EY, so die Forderung, sollte „unverzüglich“ beendet, die Vergabe erneut ausgeschrieben werden. Als das BMG das in einem Schreiben Ende Juni erwartungsgemäß ablehnte (Schriftverkehr liegt vor), stellte der Anwalt Mitte Juli einen Antrag auf ein Nachprüfungsverfahren bei der 2. Vergabekammer des Bundes, also beim Bundeskartellamt. In der ersten Antwort des BMG bat das Ministerium dann für die Stellungnahme um eine Fristverlängerung, die am Freitag ablief. Außerdem wurden vom Ministerium Vertreter für das Verfahren benannt: die Kanzlei „Müller-Wrede & Partner Rechtsanwälte“.

Continue reading...