Eine Kanzlerkandidatin muss auf einem Wahl-Parteitag eine Kanzlerinnenrede halten. Annalena Baerbock stolpert dabei bei den Grünen über ihre Anspannung. Winfried Kretschmann macht ihr Mut, Robert Habeck liefert den Slogan zum Wahlkampf und Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser warnt die Grünen davor aufzugeben.
Berlin. Die Spannung bei den Grünen löst sich am Sonntag und zwar mit Hilfe einer Landkarte. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat sich zum Grünen-Parteitag zugeschaltet und projiziert den Umriss seines Bundeslands auf den Bildschirm, schwarz zuerst und dann immer grüner – es zeigt den Siegeszug der Grünen, die der Union in deren einstigen Stammland in den vergangenen zehn Jahren Wahlkreis für Wahlkreis abgenommen hat. Kretschmann regiert dort seit 2011, erst im März hat er wieder die Landtagswahl gewonnen. „Wir wollen das Wunder auch im Bund möglich machen“, sagt Kretschmann. „Wir treten an, um Deutschland zu führen und der Politik die Richtung vorzugeben.“ Schlechte Umfragewerte? Debatten über den Lebenslauf von Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock? Aufgebauscht, Empörungsspektakel, sagt Kretschmann. Die Debatten zeigten, wie nervös die politischen Gegner seien. „Mit Annalena Baerbock an der Spitze können wir das scheinbar Unmögliche möglich machen“, sagt Kretschmann. Es wäre ein gutes Schlusswort für einen Parteitag, der Punkt, an dem das große Jubeln einsetzt, Blumen für und Winkebilder mit der Kandidatin im Kreise begeisterter Unterstützer. Aber der Parteitag muss sich noch über die Außenpolitik abstimmen und ohnehin ist gar keine Möglichkeit für die üblichen Inszenierungen: Zwar gibt es eine Halle mit einer Bühne, aber dort sitzen wegen Corona nur ein paar Spitzenpolitiker, viele Organisatoren und Techniker und ein paar Journalisten. Und Baerbock und ihr Co-Parteichef Robert Habeck in einer möbelhausfähigen Blumenrabatten-Kulisse. Die rund 800 Delegierten verfolgen den Parteitag über ihre Computerbildschirme von außerhalb. In der Halle darf sich keiner richtig nahe kommen. Kretschmann redet, Baerbock lächelt. Sie sieht etwas entspannter aus als in den Tagen zuvor. Es hat ja eigentlich alles geklappt auf diesem Parteitag. Oder besser: fast alles. Das Wahlprogramm ist so durchgekommen, wie es die Parteispitze vorgesehen hatte. Bis auf zwei eher kleinere Änderungen hat der Vorstand alle der rund 50 Abstimmungen gewonnen. Nur 60 statt 80 Euro CO2-Preis also, keine Enteignung von Wohnungsbauunternehmen und kein Nein, sondern ein Vielleicht zu bewaffneten Drohnen – sehr koalitionskompatibel also. Habeck hat es vor dem Parteitag übernommen, die Delegierten darauf einzuschwören, keine Forderungen ins Wahlprogramm zu schreiben, die nicht umsetzbar sind. Und dann gibt es noch diese Teile im Bausatzprogramm „Bündnispartner“: DGB-Chef Reiner Hoffmann lobt die Grünen in einer Gastrede. Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser sagt, die Grünen sollten ihre Chance nicht vergeben, „von einer Abteilungsleitung Umwelt in den Vorstand Deutschland aufzusteigen“. Das lässt sich anführen gegen Kritik von SPD und Union. Und ein weiteres hat geklappt: Die Delegierten haben Baerbock mit 98,55 Prozent der Stimmen als Kanzlerkandidatin bestätigt, kein bisschen Zweifel also kommt da auf.