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Bundesregierung schätzte die Lage in Afghanistan falsch ein

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Mit einem schnellen Siegeszug der Taliban hatte in Berlin kaum jemand gerechnet. Was schief lief – und wie jetzt eine Rettungsaktion in letzter Minute beginnt.
In Afghanistan spielt sich in diesen Tagen eine Tragödie ab. Am Sonntagmorgen erreichten die Taliban die Hauptstadt Kabul, am Nachmittag wurde bekannt, dass Afghanistans Präsident Aschraf Ghani das Land verlassen hat. Am Abend verkündeten die Islamisten im Präsidentenpalast ihren Sieg. Die Machtübernahme der Taliban hat begonnen. Die Amerikaner versuchten offenbar in letzter Minute auszuhandeln, dass die Taliban noch nicht in die Hauptstadt vorrücken. Denn sowohl die USA als auch Deutschland und andere Staaten wollen ihre Landsleute und die afghanischen Ortskräfte noch ausfliegen. Hat die Bundesregierung die Entwicklungen falsch eingeschätzt? Als Außenminister Heiko Maas (SPD) sich am 9. Juni im Bundestag den Fragen der Abgeordneten stellte, wollte ein FDP-Politiker von ihm wissen, ob nicht auch den afghanischen Ortskräften die Ausreise nach Deutschland ermöglicht werden sollte, die nicht für die Bundeswehr, sondern für die deutsche Entwicklungshilfe gearbeitet hatten. Die Antwort des Ministers zeigt, wie die Lage in Afghanistan noch vor zwei Monaten im Auswärtigen Amt bewertet wurde: „All diese Fragen haben ja zur Grundlage, dass in wenigen Wochen die Taliban das Zepter in Afghanistan in der Hand haben werden. Das ist nicht die Grundlage meiner Annahmen.“ Das Auswärtige Amt ging demnach davon aus, „dass die Kampfhandlungen erst einmal zunehmen werden“, aber zugleich setzten die Diplomaten offenbar noch Hoffnungen in die Verhandlungen mit den Taliban: „Gleichzeitig gibt es aber einen Friedensprozess zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung, der ja nicht ausgesetzt worden ist und dessen Erfolg ich auch nicht für unerreichbar halte“, sagte Maas am 9. Juni im Bundestag. Auch im Juli ging die Bundesregierung nicht davon aus, dass die Taliban innerhalb weniger Wochen alle wichtigen Städte außer Kabul unter ihre Kontrolle gebracht haben würden. Intern wurde zwar ein Sieg der Taliban noch in diesem Jahr für möglich gehalten, ein anderes Szenario, das in Regierungskreisen für realistisch gehalten wurde, ging aber davon aus, dass die afghanische Regierung sich noch bis zum nächsten Frühjahr gegen die Taliban behaupten könnte. „Am Ende wurden die Taliban unterschätzt und die afghanische Armee überschätzt“, sagt der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig. „Über Jahre hat man sich daran gewöhnt, das Bild von Afghanistan zu schönen.“ Noch vor wenigen Tagen rechnete im Auswärtigen Amt offenbar niemand mit einem so schnellen Sieg der Taliban. Bis Ende August wollte Maas Chartermaschinen nach Afghanistan schicken, um die Ortskräfte auszufliegen, wie er am Donnerstag in einem Fernsehinterview sagte. Dagegen hatten die USA schon vor mehreren Wochen mit der Rettung ihrer afghanischen Mitarbeiter begonnen. Ein Angebot der USA, diese Luftbrücke auch für die Helfer der Deutschen zu nutzen, soll in Berlin abgelehnt worden sein. Als die Taliban immer weiter auf Kabul vorrückten, musste die Bundesregierung am Wochenende schnell einen Notfallplan zur Rettung der Deutschen entwerfen. Der Krisenstab tagte am Sonntag, „um Sofortmaßnahmen zur Sicherung und zur Ausreise deutscher Bediensteter und weiterer gefährdeter Personen auf den Weg zu bringen“.

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