Frank-Walter Steinmeier wird am Sonntag wohl zum Bundespräsidenten gewählt. Viele Deutsche jedenfalls mögen ihn. Was auch mit einem ergreifenden Liebesbeweis zu tun hat.
Es sollte ein Tag der Freude werden. April 2016. Der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag, geschlossen unmittelbar nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, feierte seinen 25. Geburtstag, und in Warschau stand die Feier des runden Jubiläums an. Doch als Frank-Walter Steinmeier am frühen Morgen in Berlin-Tegel den Regierungs-Airbus betrat, der ihm längst zum zweiten Arbeitszimmer geworden war, war die Feierstimmung verflogen.
Denn wenige Tage zuvor hatte der starke Mann in Polen, Jaroslaw Kaczynski, Chef der nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), in ungewöhnlich scharfen Worten die deutsche Bundesregierung attackiert, die zuvor das Vorgehen der PiS-Regierung gegen das polnische Verfassungsgericht kritisiert hatte. Man habe kein Interesse daran, „dass die Deutschen hier die dominierende Kraft sind“, sagte Kaczynski. Zudem gebe es auch in Deutschland „ernst zu nehmende Aktivitäten, die darauf hinweisen, dass die dortige Demokratie liquidiert wird“. Das saß. Ein Affront sondergleichen.
Für Steinmeier, den ersten Diplomaten des Landes, war das nun ein heikler Balanceakt. Einerseits konnte er dies so nicht stehenlassen. Andererseits durften seine Widerworte den Festakt nicht allzu trüben. Und so entschied sich der Außenminister, ohnehin von seinem Naturell her ein Mann des Ausgleichs und der Versöhnung, für eine besondere Form der Kritik. In wohlgesetzten Worten erinnerte er an die guten Zeiten der deutsch-polnischen Beziehungen und lobte die enge Zusammenarbeit. Vor allem aber packte er mit Blick auf den Streit um das Verfassungsgericht die Polen bei ihrer nationalen Ehre. Er würdigte ausdrücklich, dass es das polnische Parlament gewesen sei, das bereits 1791 die erste freiheitliche Verfassung Europas verabschiedet habe, die Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung enthalten habe und zum Vorbild vieler Verfassungen im 19. Jahrhundert wurde. Und er zitierte Polens großen Sohn, Papst Johannes Paul II., der kurz nach seiner Wahl 1978 in Gnesen die Pfingstmesse gefeiert hatte und dabei die „Botschaft von Verständigung und Gemeinschaft statt Abschottung und Angst“ verkündet habe.
Alle im Saal verstanden die Anspielung. Im Namen der Bundesregierung hatte Steinmeier unmissverständlich ausgesprochen, was er sagen wollte. Gleichzeitig konnte ihm niemand offen widersprechen. Der Tag war gerettet, das Fest konnte gefeiert werden. Entsprechend gelöst wirkte er am Abend auf dem Rückflug nach Berlin. Ohne Jackett und Krawatte, den obersten Kragenknopf geöffnet, die Ärmel hochgekrempelt, stand er im Gang der Regierungsmaschine und analysierte in ebenso offenen wie klaren Worten die politische Lage.
Maß und Mitte, Dialog und Diplomatie, Ausgleich und Annäherung – mit diesen Werten brachte es Frank-Walter Steinmeier zum beliebtesten Politiker in Deutschland. Und sie führen ihn nun aller Voraussicht nach in das höchste Staatsamt dieser Republik. Wenn am Sonntag um zwölf Uhr mittags im Berliner Reichstagsgebäude die Bundesversammlung zusammenkommt, um den Nachfolger von Joachim Gauck zu wählen, dessen fünfjährige Amtszeit am 18.