Der chinesische Walser-Übersetzer Huang Liaoyu über den Dichterfürsten vom Bodensee, seine Verehrung im Reich der Mitte und warum man beim Übersetzen seiner Texte an die Grenzen des Verstandes kommt.
Ich bin Germanist der Peking-Universität, und wie fast alle Auslandsgermanisten betätige ich mich neben Lehre und Forschung auch als Übersetzer. Nachdem ich in den letzten 15 Jahren fünf Romane von Martin Walser ins Chinesische übertragen habe, nehme ich den mir weiß Gott wie zugefallenen Titel Walser-Übersetzer gerne an. Meine Arbeit begann mit „Tod eines Kritikers“ (2004). Dann folgten „Ein liebender Mann“ (2009), „ Das dreizehnte Kapitel “ (2015), „ Muttersohn “ (2016) und „Ein sterbender Mann“.
Einen Walser-Forscher würde ich mich dagegen nicht nennen. Davon distanziere ich mich aus Ehrfurcht oder Bescheidenheit: Es fällt mir schwer, das literaturwissenschaftliche Gebot der Objektivität, Neutralität und Distanz zu befolgen. Mit dieser Unfähigkeit hat auch mehr oder weniger zu tun, dass ich ein regelrechter Walserianer geworden bin. In Berlin-Zehlendorf, wo ich wohne, wenn ich zu Forschungsaufenthalten an die Freie Universität oder die Humboldt-Universität komme, im schönen Garten am Hochwildpfad 34, haben mich schon viele an meinen Walser-Übersetzungen arbeiten sehen. Hier war ich öfters unterwegs, um den Leuten zu erzählen, was mich an Walsers Werk und Person so fasziniert. Dabei sprach ich oft über die gelungene Symbiose von Poesie, Philosophie und Historie in seinem Werk wie über seine deutschen Sorgen.
Inzwischen habe ich vom Dichterfürsten den Titel eines Haus- und Hofübersetzers erbeten. Die Verleihung erfolgte im vergangenen Herbst während einer Lesung in der Deutschen Botschaft Peking. Walser antwortete mir mit einem väterlichen Lächeln und einem Kopfnicken.
Aus drei Gründen betrachte ich mich als einen vom Glück gesegneten Walser-Übersetzer. Erstens zählt, was Walser schreibt, zum Besten der deutschen Literatur. Damit gehört er der ganzen Welt und sollte in alle Weltsprachen übertragen werden. Mit Zufriedenheit habe ich festgestellt, dass Walser, der – im Vergleich mit anderen Schriftstellern der Gruppe 47 – mit großer Verspätung nach China kam, hierzulande schnell zum Gegenstand der Verehrung geworden ist. Und die Schar seiner Verehrer wächst und wächst, bei prominenten Schriftstellern wie Mo Yan, Tie Ning, Li Er oder Xu Zechen – und bei den Lesern.
Der Goethe-Roman „Ein liebender Mann“, der 2009 den Weishanhu-Preis für den besten fremdsprachigen Roman des 21. Jahrhunderts erhielt, erlebt inzwischen seine dritte Auflage. „Das dreizehnte Kapitel“ lese, wer in bester Gesellschaft sei, so heißt es in einem Leserbrief; und in einem anderen: Zum Lesen dieses Buches passten ein Stück von Bach und ein Glas Weißwein. Auch der Zukunft des kürzlich erschienenen „Muttersohn“ sehe ich mit Zuversicht entgegen. Schließlich möchte ich mit Stolz vermelden, dass meine erste Walser-Übersetzung, „Tod eines Kritikers“, in zwei Monaten neu aufgelegt werden soll.
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Deutschland — in German Martin Walser zum 90.: Der Wortkünstler und Weltverschönerer: Eine Gratulation aus Peking