Dass der britische Schriftsteller Kazuo Ishiguro den Literaturnobelpreis erhält, ist eine Überraschung. Die Wahl ist vertretbar, aber alles andere als mutig.
Als vor einem Jahr Bob
Dylan den Nobelpreis für Literatur erhielt, fielen die Reaktionen kontrovers
aus: Auf der einen Seite herrschte Begeisterung für die Courage und die
unkonventionelle Entscheidungsfreude des Nobelpreiskomitees, auf der anderen Seite
Entsetzen über die Ausweitung des Literaturbegriffs und die Würdigung eines
Mannes, der sich vor allem als Musiker einen Namen gemacht hat.
Dieses Jahr gingen Literaturexperten
und Wettmacher davon aus, dass sich so ein Experiment nicht wiederholen und ein
unumstrittener Kandidat den Literaturpreis erhalten würde: also eine Schriftstellerin
oder ein Schriftsteller mit breitem Œuvre und konventionellem Literaturverständnis.
Ganz oben auf der Favoritenliste standen so bekannte Namen wie der Japaner
Haruki Murakami, die Kanadierin Margaret Atwood und der Israeli Amos Oz .
Freilich, sie alle hätten
den Preis verdient. Bekommen hat ihn aber ein anderer: der in Deutschland recht
unbekannte, dafür im englischen Sprachraum umso geschätztere Autor Kazuo
Ishiguro. Der 62-jährige Brite mit japanischen Wurzeln ist am 8. November 1954
in Nagasaki geboren. Als Fünfjähriger zog er mit seiner Familie nach England,
wo er später als junger Erwachsener Philosophie und Literatur studierte. Ishiguro
nahm die englische Staatsbürgerschaft an, ging nach seinem Studium nach London und
begann, sich in seinem literarischen Schaffen mit seinem britisch-japanischen
Hintergrund zu beschäftigen.
Nicht nur deshalb ergibt die
Wahl Ishiguros durchaus Sinn: Der Brite umkreist in seinen acht Romanen und
vier Drehbüchern klassisch-humanistische Themen, wandelt zwischen einem
europäischen und asiatischen Kulturbegriff, reflektiert in seinen lakonischen
Geschichten die verdrängten Traumata des Zweiten Weltkriegs und hat dafür bereits
bedeutende Preise erhalten.