Mehr als 50.000 Menschen tanzen und feiern beim Gratiskonzert eine Woche nach den rechtsextremistischen Ausschreitungen in Chemnitz. Doch nach der Instrumentalisierung durch die Rechten zieren sich nun auch die Linken nicht.
Mehr als 50.000 Menschen tanzen und feiern beim Gratiskonzert eine Woche nach den rechtsextremistischen Ausschreitungen in Chemnitz. Doch nach der Instrumentalisierung durch die Rechten zieren sich nun auch die Linken nicht.
Nach gut vier Stunden Konzert kommt der Moment, an dem in Chemnitz nicht Hunderte, nicht Tausende, sondern Zehntausende den „Ärzte“-Klassiker von den sich nach Zärtlichkeit sehnenden Springerstiefeln mitbrüllen. „Arschloch“ als klare Ansage an Nazis wirkt auf die Menge wie eine Befreiung. Zudem ist die Hoffnung, es mögen doch möglichst mehr als 20.000 die Chemnitzer nicht allein lassen und in Solidarität mit ihnen feiern, mehr als aufgegangen: „Wir sind 70.000 Leute“, ruft „Tote-Hosen“-Sänger Campino in die Chemnitzer Nacht. Und das sei ja nun im Wettstreit mit den Anderen ein „Fünf zu Null“. Über die genaue Zahl der Teilnehmer herrschte am Abend noch Unklarheit. Die Stadt sprach von erst von 50.000 und später dann von 65.000 Teilnehmern.
„Wir sind mehr“, lautet die Devise der Bands, die spontan zu Rock gegen Rassismus eine Woche nach den rechtsextremistischen Ausschreitungen in der sächsischen Stadt eingeladen haben. Sie wollen ein Gefühl des Mehr-Seins vermitteln, Mehr-Sein als jene 6000, die nach der tödlichen Messerstecherei vor einer Woche aufmarschierten. Das andere Motto liefert zufällig die großformatige Kekswerbung nahe des Konzertes: „Lass krachen.“ Ja, sie lassen es krachen in der Stadt der empörten und verunsicherten Bürger. Auch wenn der Auftakt etwas schräg daherkommt.
Denn bevor der in Chemnitz geborene Musiker Trettmann mit seinem Freiheitslied zur Eröffnung losrockt, gibt es nicht nur eine Schweigeminute für den getöteten Chemnitzer. Sondern die Bühne gehört auch dem Bündnis „Chemnitz nazifrei“. Und das kritisiert erst einmal die CDU, die den Rechtsextremismus in Sachsen verharmlose, und die Polizei, die gegen kleine Gruppen von Antifaschisten vorgehe, bei Rechtsextremisten jedoch überfordert sei. Gerade haben die Veranstalter noch kritisiert, dass die Vorgänge in Chemnitz von einer Gruppe für ihre politischen Ziele instrumentalisiert worden seien, als die „Nazifrei“-Sprecherin zur Solidarisierung mit dem „konsequenten Widerstand“ im Braunkohlenrevier Hambacher Forst aufruft. Das erste „Hoch“ gilt denn auch der „internationalen Solidarität“, dem Schlachtruf der Linken. „Wir sind alle Antifaschistinnen und Antifaschisten“, schallt es von der Bühne.
Ohnehin ist die Stimmung weit über Chemnitz hinaus aufgeladen, weil mit den Musikern von „Feine Sahne Fischfilet“ auch eine Band auf die Bühne kommt, die der Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern einige Jahre unter Linksextremismus-Verdacht gestellt hat. Drastisch reagiert Sahne-Frontmann Jan „Monchi“ Gorkow auf diese Debatte: „Ich gebe einen Fuck darauf, wenn die uns scheiße finden, ich empfinde das als Kompliment“ — und damit meint er den Verfassungsschutz als jene Behörde, die den rechtsterroristischen NSU ermöglicht und unterstützt habe.