In Chemnitz diskutiert die Bundeskanzlerin mit Bürgern – der Auftritt wirkt souverän, doch er kommt zu spät.
Angela Merkel hat an diesem Freitagabend in Chemnitz einen Fehler zugegeben, und das wörtlich. Die deutsche Kanzlerin hat nicht nur gesagt, dass sie dieses oder jenes hätte besser machen können. Sie hat «Fehler» gesagt. Allerdings war es aus Sicht ihres Gegenübers nicht der richtige, den sie zugab.
Die Frau, die mit dem Mikrofon in der Hand in der alten Industriehalle nahe dem Chemnitzer Zentrum steht, will von Merkel hören, dass ihre Flüchtlingspolitik ein Fehler war. Damit ist sie nicht allein. Die «Freie Presse» hat 120 ihrer Leser eingeladen, um mit der Kanzlerin zu debattieren. Der Anlass ist der gewaltsame Tod eines 35-jährigen Chemnitzers Ende August – und die rechten Aufmärsche, die folgten. Nichts hat die Bundesrepublik in diesem Jahr so sehr erschüttert. Das liegt auch daran, dass das Verbrechen nicht aufgeklärt ist. Drei Flüchtlinge werden der Tat verdächtigt. Einer sitzt in Untersuchungshaft, ein zweiter wurde mangels dringenden Tatverdachts entlassen, der Dritte ist flüchtig.
Doch in der Diskussion geht es um mehr. Es geht um die Wut, die im Osten seit Jahren köchelt. Viele Menschen hier wollen von Merkel keine Erklärung ihrer Politik hören. Sie wollen ein Schuldgeständnis.
«Mein Fehler», sagt Merkel, «lag vor der Ankunft der Flüchtlinge.» Das Wörtchen «vor» betont sie. Ihre Regierung hätte sich früher mit der Frage befassen müssen, wie Flüchtlinge unweit ihrer Heimat ein ordentliches Auskommen haben könnten. Dann hätte man mit der Uno entscheiden können, wer nach Deutschland kommen könne – und nicht die Schlepper. Fehler während der Flüchtlingskrise? Sie habe in dieser Zeit «gearbeitet, gearbeitet, gearbeitet», sagt Merkel und verweist auf das EU-Türkei-Abkommen vom März 2016.
In den 13 Jahren ihrer Kanzlerschaft hat Merkel nie einen Fehler substanzieller Art eingestanden, und sie wird in der Spätphase nicht damit anfangen. Trotzdem ist der Chemnitzer Auftritt bemerkenswert. Merkel eilt der Ruf voraus, eine Art menschliches Kontroll-Panel zu sein: Wenn es irgendwo blinkt und trötet, dann bedienen ihre Vertrauten diskret ein paar Regler, und es ist wieder ruhig.