Es wird ein kritischer Bericht zur Wahl erwartet: So erlebt ein deutscher Parlamentarier und OSZE-Beobachter die US-Präsidentschaftswahl an den Urnen.
Andrej Hunko fährt mit dem Finger über die Zahlen in seinen Wahlunterlagen, weit über zehn Milliarden US-Dollar wurden für die Wahlkampagnen von Donald Trump und Joe Biden ausgegeben. «Jemand wie ich könnte sich das gar nicht leisten, hier als Kongressabgeordneter zu kandidieren» sagt der Vize-Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag. «Das kontrastiert alles mit der katastrophal schlechten Wahlinfrastruktur.» Es gebe 10.200 verschiedene Verordnungen und Wahlgesetze durch die von Bundessstaat zu Bundesstaat unterschiedlichen Regelungen, viel Angriffsfläche für Manipulationen und Klagen. Dazu das antiquierte System, wo die Mehrheit der Wahlstimmen aus den Bundesstaaten entscheidend ist, nicht die Gesamtzahl der Stimmen im Land. Und hinzu kommen nur sehr begrenzte Einblicke bei dieser historischen Wahl, fast symbolisch wachsen seit Tagen die Umzäunungsanlagen und Absperrungen um das Weiße Haus. Bei einem Spaziergang mit Hunko in Richtung des hermetisch abgeriegelten Weißen Hauses, über die von der Stadt — als Spitze gegen Donald Trump — so benannte „Black Lives Matter“-Plaza, ist die angespannte Stimmung zu spüren, wenngleich die Szenerie immer wieder von Gesängen unterbrochen wird, die eine Erlösung durch Jesus erbitten. Überall sind die Läden in Washington Downtown mit Holzplatten verrammelt. Es ist Hunkos 15. Wahlbeobachtung für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) – und die ungewöhnlichste. Eigentlich sollten bis zu 400 Beobachter dabei sein. Wegen Corona sind es deutlich weniger, darunter rund 40 Abgeordnete aus Mitgliedsstaaten, davon sechs Bundestagsabgeordnete aus Deutschland. Der FDP-Abgeordnete Michael Link leitet die internationale Wahlbeobachtung. Die OSZE beobachtet seit Jahrzehnten, ob Abstimmungen in Mitgliedsstaaten frei, fair und nach internationalen Standards ablaufen, in den USA zum achten Mal. Eigentlich sind US-Präsidentschaftswahlen wie Bundestagswahlen eher Routinebeobachtungen, die Berichte sind auch Grundlage für andere Regierungen, wenn sie die Wahl bewerten — aber Hunko erwartet einen kritischen OSZE-Bericht von Michael Link, die älteste Demokratie der Welt setzt gerade eher negative Standards, vor allem die Transparenz des Wahlprozesses steht in Frage. Viele US-Bundesstaaten dulden keine Beobachter mehr Angefangen bei Präsident Donald Trump, der seit Wochen die Briefwahl in Zweifel zieht und sich im Vorfeld weigerte, eine mögliche Niederlage zu akzeptieren.